Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

DOI Heft:
Mühlbach, Louise: Bruder und Schwester (Schluß)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0234
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

174

mit entzücktem Lächeln vor diesem Büschel blühender
Nosen, welche sich in dieser Nacht erst erschlossen
hatten, und in deren schönsten eben ein buntschil-
lernder Schmetterling sich wiegte. Sie pflückte die
Rosen und trank den Thau aus deren Kelche aus,
und befestigte dann mit einer unschuldigen Koket-
terie das volle köstliche Rosenbüschel in ihrem Haar.
Dann ging sie weiter zu jenem kleinen Pförtchen
dort, welches hinaus führte auf das Feld. Jenseits
des Feldes lag der Wald. Dorthin wandte Rustica
ihre Schritte, dorthin blickte sic mit strahlenden
Augen, mit einem süßen, köstlichen Lächeln. Jezt
stieß sie einen Schrei aus, jezt flog sic wie ein auf-
gescheuchtes Reh über die Wiese hin. — Sie hatte
am Rande des Waldes eine männliche Gestalt ge-
sehen, sic hatte ein weißes Tuch flattern sehen!
Das war das verabredete Signal, ihr Geliebter
war da! Er erwartete sie! Oh warum hatten ihre
Füße nicht Flügel, wie ihr Herz, welches längst
bei ihm war, dort drüben in dem süßen, schattigen
Wald, welches sich längst an seine Seite schmiegte
und ihn küßte mit seligen Küssen, und ihm holde
Worte in's Ohr flüsterte, die ihre schüchternen
Lippen niemals ganz auszusprcchen wagten. Oh
warum mußte sie jezt noch ihren raschen Schritt
hemmen, und ruhig, harmlos erscheinen, um dem
jungen Schulmeister Klaus, welcher dort über das
Feld daher kam, keinen Verdacht zu erregen!
Guten Morgen, Klaus! sagte sie, indem sie an
ihm vorüberschritt. Er erwiderte ihren Gruß nicht
mit Worten, aber mit seinen Blicken. Er stand,
und sah ihr lange nach, und seine Augen füllten
sich mit Thränen. Eine Rose war aus ihrem Haar
gefallen, indem sie vorüberging. Klaus hob sie
auf uud küßte sie; die Thränen, welche lange in
seinen Augen gestanden, sielen nieder auf die Rose,
und die Sonne hielt sie auch für Himmelsthau,
und machte flammende Diamanten aus den Thrä-
nen, wie aus den Thautropfcn.
Armer Klaus, murmelte Rustica, indem sie
weiter schritt, armer Klaus, er liebt mich noch im-
mer, obwohl ich ihm gesagt, daß er mich aufgeben
muß, daß ich einen Andern liebe! Ach, es muß
traurig sein, hoffnungslos zu lieben! Es thut mir
immer im Herzen weh, wenn ich ihn sehe, und mir
ist, als ob ich ein großes Unrecht an ihm begangen
hätte, und doch ist es weiter nichts, als daß ich
ihn nicht lieben kann! Ach könnte ich cs nur! Mir

wäre Lesser, der größte Wunsch der Eltern wäre
erfüllt! Warum kann ich denn diese Liebe nicht aus
meinem Herzen reißen!
Ein Schatten flog über ihr schönes Angesicht,
und der Glanz ihrer Augen trübte sich! Aber als
sic jezt in den Wald trat, als sie ihn dort stehen
sah, als er auf sie zu eilte, als er mit entzücktem,
zärtlichem Gruß sie in seine Arme schloß, da war
der trübe Schatten von ihrem Antlitz gewichen, da
war Alles vergessen, Alles außer ihm, den sie liebte,
und den sie endlich, nach monatelanger Trennung
jezt wieder sah. Sie hatte ihn seit acht Tagen er-
wartet, seit acht Tagen war sie jeden Morgen in
den Wald gegangen, und immer vergeblich. Jezt
endlich war er da, jezt ruhte sie an seinem Herzen,
und trank die süße Musik seiner Stimme, und be-
rauschte sich an seinen Licbcsworten und seinen Be-
theurungcn. — Oh, es war eine starke, treue und
keusche Liebe, welche die Beiden vereinte, eine Liebe,
welche alle Trennung und alle Widerwärtigkeiten
überdauert hatte, welche nicht zerschellt war an dem
nicdern Stand der Geliebten, nicht zerschellt an
der vornehmen Geburt des Geliebten. Was küm-
merte es sie Beide, daß Er ein Baron war und
Sie eine Baucrstochtcr, ihre Herzen hatten sich ge-
funden, und verstanden, die Liebe fragt nicht nach
Rang und Titel! Was daraus werden, wie diese
Liebe enden sollte? Sie hatten das einander nie-
mals gefragt, sie hatten die Gegenwart in ihrer
Rüstigkeit und ihrem Glücke genossen, was küm-
merte sie die Zukunft! Es war ein goldener, stern-
funkelnder Schleier, welcher ihnen dieselbe verbarg,
warum sollten sie ihn lüften! Rustica hatte eine
heilige, verdächtige Scheu davor, sie würde cs für
ein Sacrilcginm gehalten haben, wenn sie dieses
große, göttliche Glück der Gegenwart durch eine
Frage um seine Zukunft hätte lästern wollen. Sic
erzählte Gott und dem Himmel und den Sternen,
dem flüsternden Nachtwind und den Blumen von
ihrer Liebe, sie hatte ihrem Geliebten in ihrem
Herzen einen Altar errichtet, auf dem sie ihre
jungfräulichen Wünsche und Gedanken als Morgen-
opfer niederlegtc, und dessen keusche Priesterin sie
war. — Aber der junge Baron Alfred empfand
mindere Scheu, minder heilige Angst vor der Zu-
kunft. Er war zu lange in der Residenz gewesen,
hatte zu sehr seine jugendliche Unerfahrenheit in
deren lauten und üppigen Freuden eingcbüßt, um
 
Annotationen