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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0174
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Sie dankte ihm mit einer Wärme, einer Leb-
haftigkeit, die ihre sonstige Schüchternheit über-
wand und sie ungewöhnlich liebenswürdig erschei-
nen ließ. Da er nicht Miene machte, sich sogleich
wieder zu entfernen, bot sic ihm Platz in der Laube
an. Er nahm denselben an. „Ich komme, um einen
Glückwunsch sowohl zu holen als zu geben," sagte
er nach kurzer Pause.
Er hatte sich, wie Marie wußte, uuter des Ober-
amtmanns Empfehlung um die Schultheißenstelle
in dem Orte beworben, wo sein Vater einst als
Pfarrer gewirkt hatte und noch dessen Grab in Ehren
war. So eben hatte er Nachricht erhalten, daß
die Wahl wirklich auf ihn gefallen sei. Die Freude
verlieh ihm ungewöhnliche Lebhaftigkeit und Be-
redsamkeit. Er schilderte seine Anhänglichkeit an
das Dorf, seine Kindheitscrinnerungcn; feine Liebe
zum Landleben — „überhaupt, glauben Sie mir,"
fuhr er mit Wärme fort: „wer die Freude des
Landlebens mit den frühesten Athemzügen eingesogen,
der wird nie heimisch werden in der Stadt; was
Einsamkeit, was Langeweile ist, habe ich erst in der
Stadt kennen lernen müssen.
Immer war's mein stilles, tief inneres Verlan-
gen, auf dem Dorfe eine Heimath zu finden; ich
hoffte einst, im schönen Berufe des Pfarrers; nun
erfüllt sich'ö in der Stellung des weltlichen Ortsvor-
stehers; auch darin ist mir zu schöner Wirksamkeit,
zu segensreicher Thätigkeit die Bahn geöffnet."
Marie war seiner Rede mit Spannung gefolgt;
der ungewöhnliche Fluß derselben riß auch sic mit
hin; sie fühlte sein Glück mit, und freute sich des-
selben, und doch empfand sie in denselben Mo-
menten eine Wchmuth, eine Leere, die sie sich kaum
zu erklären wußte. Maier war der Einzige gewe-
sen, der ihr mit Achtung, mit inniger Aufmerksam-
keit begegnet war; und er ging fort!
Ahnungslos hatte Maier die Blicke auf sie ge-
heftet; unerwartet sah er ihre Augen mit Thränen
sich füllen. Er stockte, und blickte sie ernster, ja
forschender an; sic crröthcte und wurde unwillig
über sich selbst; wie sonderbar konnte ihre Bewe-
gung mißdeutet werden!
Doch Maier nahm das Gespräch wieder auf,
und breitete sich jezt beredt in der Schilderung des
betreffenden Dorfes aus; er beschrieb die herrliche
Lage: vom Walde umsäumt, mit der freien Aus-
sicht auf die herrliche Albkctte mit ihren Ruinen,
—-H»-

ihren geisterhaft mahnenden historischen Erinnerun-
gen! Er sprach von der Annehmlichkeit, einen Gar-
ten zunächst am Hause haben zu können, was in
der Stadt so selten gefunden würde; von seinem
Vorsätze, Obstbaum- und Bienenzucht mit dem Gar-
tenbau zu verbinden. Endlich berührte er sogar die
pekuniären Verhältnisse seiner Lage, und erwähnte,
daß er, da ihm neben der Schultheißen- und Rath-
schreiberstelle noch das Geschäft des Pfandwesenö
und ein Verwaltungsactuariat vom Oberamt zu-
gctheilt sei, das Einkommen wohl so hoch bringe,
daß bei bescheidenen Ansprüchen davon nicht unr-
eine, sondern auch zwei und sogar mehr Personen
anständig und ohne Sorgen leben könnten.
Immer stärker ward Marien'ö unbegreifliche
Beklemmung; sie erwartete, er werde ihr seine Ver-
lobung ankündigen, den Namen seiner Erwählten
mittheilcn, und fühlte, daß sie ihm Glück wünschen
sollte. Doch war ihre Zunge wie gelähmt; kein
Wort hätte sie über die Lippen bringen können; ja
zu ihrer unaussprechlichen Verlegenheit fühlte sie,
daß die vorige Röthc einer noch beschämenderen
Blässe gewichen war.
Jezt wünschte sie sich in die Verborgenheit des
dunkelsten Zimmers zurück; hinweg von den Wolken,
den Rosen und Herrn Maier, so angenehm ihr
zuvor all deren Gegenwart gewesen war. Herr
Maier aber, anstatt höflich ein Ende zu machen,
veränderte seinen Ton und sprach mit ernster Wärme:
„Und doch kann das Leben auf dem Lande einsam
werden, sehr einsam;-Mein Fräulein! Ihre
Gegenwart nur könnte mich auf's Nei heimisch
werden lassen in der alten Heimath; Sie a^ein sind's,
die meine Blicke nach der Stadt zurück ziehen. Es
liegt in Ihren Händen, mich sehr glücklich, oder
sehr einsam ziehen zu lassen."
Zum Erstcnmale in ihrem Leben hörte Marie
solche Worte; auch jezt waren's nicht Worte einer
Leidenschaft, aber die einer innigen, ernstbcgründcten
Liebe. Ein fremdes Herz suchte das ihrige, fand
fein Glück in dem ihrigen, dieß war ein neues,
überwältigendes, und doch so beseligendes Be-
wußtsein.
Da saß sic denn, bebend in Angst und Wonne.
Sprechen konnte sie nicht, und wenn all feine Liebe
und ihr ganzes Glück und ihre Zukunft davon ab-
gehangen hätte — sie hätte nicht das leiseste „Ja"
über die Lippen bringen können. Nicht einmal durch
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