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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0177
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sten gebracht, eine Gefühlsäußerung mit allen Mit-
teln Hervorrufen wollte, bemerkte gegen den Referen-
dar, daß der Abend ganz idyllifch schön, — in seiner
Jugend waren Schäfergedichtc noch gelesen worden,—
der Referendar antwortete mit der kühlen Bemerkung,
daß der Wind sich gedreht habe und Regen zu er-
warten fei. Der Obcramtmann wagte den lezten,
verzweifelten Versuch, indem er seiner Frau den
Handschuh faßte und ausrief: „auch wir erinnern
uns eines Tages"-„Laß mich zufrieden," unter¬
brach ihn die Oberamtmännin; „ich habe genug am
heutigen Tag!"
Gewiß war es Barbarei, eine Frau, die so ab-
gemattet an Leib und Seele war, wie die Ober-
amtmännin heute, noch zu alten Erinnerungen ein
paar Jahrzehnte zurückschleppen zu wollen. Der
Oberamtmann aber sah dicß nicht ein, sondern that
im Stillen das Gelöbnis, nun auch niemals wieder
und bei keinerlei Veranlassung sich zu einer Rüh-
rung bringen zu lassen; er warf sich in die Ecke des
Wagens zurück, um — nicht zu schlummern.
Man muß gestehen, daß es bessere Stimmungen
gibt, als die war, in welcher der Oberamtmann
jezt zu Haus anlangte, und in welcher die ältere,
ungeliebte Tochter von ihm die Einwilligung zu
einer ungewöhnlichen, ihrem Stande gänzlich unan-
gemessenen Heirath erbitten wollte.
Er hatte sie keines Grußes gewürdigt, da sie
ihm entgegentrat; als sie aber sich ihm näherte, und
leise bat: „Vater! ein Wort im Stillen! nur ein
einziges Wort!" rief er sie barsch an: „laß mich in
Ruh; ich binheute schon übergenug gequältworden!"
Nun trat aber auch Herr Maier hervor, und
bat: „nur einen Augenblick Gehör, Herr Oberamt-
mann !"
„So kommt in's — Namen!" rief ungeduldig
der Oberamtmann aus; „ich habe Sie bisher für
einen bescheidenen Mann gehalten, Herr Maier;
ich meinte, Sie wüßten, daß heute ein Verlobungstag
im Harpe iss! Gott sei's geklagt." Mit diesen Worten
öffnete er sein Zimmer und trat mit den Beiden ein.
„Äch habe Ihnen zu melden, Herr Oberamtmann,
daß die Schultheißenwahl in O. auf mich gefallen
ist!" Hub Maier an.
Ein schwacher, dämmernder Freudcnstrahl zuckte
durch des Oberamtmanus Gesicht, und wollte mit
den tiefen Schatten kämpfen, von denen cs aber bald
verschlungen wurde.

„Ich sollte Ihnen gratuliren, Herr Maier; ich
wollt' cs auch, wenn nicht dieser — Verlobungstag
' heute wärc. Ich habe Sie immer geschäzt, Herr
Maier; gewiß, es sollte mich freuen! — wenn ich
nur wenigstens den ärgerlichen neuen Rock vom
Leibe hätte!" fuhr der Oberamtmann heraus.
Maier jedoch blieb stehen. „Ich habe noch eine
Bitte, Herr Oberamtmann; um ein Wort von Ihnen,
von dem mehr als von Amt und Stelle mein Glück
abhängt —" begann er; Marie aber unterbrach ihn;
sie sah, daß es ihm schwer ward, sich in den gewöhn-
ten, tief respektvollen Ausdrücken zu erklären.
Sie schlang den Arm um des Vaters Hals —
ihr Lebenlang war ihr bis daher solche Kühnheit
nicht in den Sinn gekommen ; „er liebt mich, Vater;
er liebt mich, und ich liebe ihn auch; sage ja, um
meiner Mutter willen; er wird mich glücklich machen!"
sagte sie ihm mit einer Raschheit und Wärme, der
sie früher Niemand, am wenigsten ihr Vater fähig
gehalten hätte; er blickte ihr in's Gesicht, unbewußt,
er konnte nicht anders. Sie schien verjüngt um zehn
Jahre. Ida selbst, im lächelnden Gesicht und rosa
Florkleide, sah nicht jünger aus, und jezt mit den
belebten Zügen und geröthctcn Wangen und feuchten
i Augen rief sie unverkennbar das Bild ihrer Mutter
ihm in's Auge zurück; er hatte diese Achulichkeit
nie früher bemerkt.
„Nm ihrer Mutter willen!" sagte sie; ihre Mutter-
war eine einfache Frau gewcscu, aber sie hatte ihn
glücklich gemacht, sehr glücklich.
Der Oberamtmann wollte nicht gerührt werden
er hatte sich'ö ja gelobt, cs nie wieder zu werden;
aber die Rührung überkam ihn, ehe er sich's versah,
und sic ward ihm zu mächtig. Er wollte Maier
anreden, wollte ihm auf seine Werbung antworten,
aber die Stimme, die gebietende Beamtenstimme,
versagte ihm; Thränen umdunkelten sein Auge; er
küßte die Tochter auf die Stirne; er wußte erst in
diesem Augenblick, wie lieb sie ihm war, und legte
mit abgewandtem Gesicht — er wollte ja die Thräne
nicht zeigen — ihre Hand in die dargebotene des
Bräutigams.
Es war die erste Vaterthräne, der erste Vatcrkuß,
den Marie empfing, und diese erste Thräne und dieser
Kuß segneten ihre Verbindung ein. Erst mit dem
Verlobten war ihr der Vater geschenkt worden; auch
Maier fühlte dieß und gab Marten nur durch leisen
Druck der Hand zu verstehen, daß er die Weihe
 
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