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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Woermann, Karl: Die Cranach-Ausstellung (Dresden 1899) und die Pseudogrünewald-Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0083

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Die Cranach-Ausstellung (Dresden 1899) und die Pseudogrünewald - Frage.

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und Heidelberg, das Ferdinandeum zu Innsbruck, das
Schlesische Museum zu Breslau, die Kgl. Bibliothek zu
Bayreuth und das Germanische Museum zu Nürnberg
werden nicht fehlen. Für den Eingeweihten genügt diese
Aufzählung, um zu zeigen, dass die Cranach-Aus-
stellung im stände sein wird, die ihr gestellten Auf-
gaben zu erfüllen. Auch der Privatbesitz wird, soweit
er willkommen war, so gut wie vollständig beteiligt
sein. Es kann hier im voraus nur erinnert werden
an die wichtigen gütigst zugesagten Werke aus dem
Besitze des Herrn Generalmusikdirektors Levi und
des Herrn Dr. M. Schubart-Czermak in München, des
Herrn Geh. Rat von Kauffmann, des Herrn Professor
Knaus und der Frau Wesendonck in Berlin, des
Herrn Konsul Ed. F. Weber in Hamburg, des
Herrn Geheimen Hofrat Schaefer sowie des Frei-
herrn von Heyl in Darmstadt, des Freiherrn von
Scheurl in Nürnberg und des Herrn Schlosshaupt-
mann von Cranach auf der Wartburg, der als gegen-
wärtiges Haupt der noch immer blühenden Familie des
alten Malers und Bürgermeisters von Wittenberg sich
der Ausstellung in jeder Weise angenommen hat.
Auch aus Frankreich (Mr. A. Joliet in Dijon) und
Belgien (Mr. Ed. Fetis und Mad. Errera in Brüssel)
werden Bilder geschickt werden. Im Bezug auf einen
anderen, weniger lehrreichen Teil des Privatbesitzes an
Cranach'schen Bildern wird die Aufgabe der Aus-
stellungsleitung allerdings nicht sowohl darin bestehen,
ihn heranzuziehen, als ihn fernzuhalten, zumal der zur
Verfügung stehende Raum, wie schon bemerkt, keine
weiteren Anmeldungen zulässt.

Wird nun noch einmal betont, dass es das Be-
streben der Ausstellungsleitung sein musste, nicht nur
das künstlerische Gesamtbild des Begründers der alt-
sächsischen Schule möglichst günstig zu gestalten,
sondern auch der kunstgeschichtlichen Hauptfrage, die
die Ausstellung entscheiden helfen soll, möglichst
genügendes Material zuzuführen, so ergiebt sich,
dass in kunstwissenschaftlicher Hinsicht eine Haupt-
anziehungskraft der Ausstellung in den übrigens auch
künstlerisch anziehenden sogenannten Pseudogrüne-
waldbildern liegen wird. Es wird den Lesern der
Kunstchronik daher willkommen sein, an dieser Stelle
die geschichtliche Entwicklung der Pseudogrünewald-
Frage von der Zeit ihrer Entstehung bis zur Gegen-
wart sine ira et studio noch einmal erzählt zu hören. —

Dass Matthias Grünewald, der eigenartige, ganz
in Farben fühlende Aschaffenburger Meister der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, dessen Hauptbild das
grosse Altarwerk des Kolmarer Museums ist, mit
Lucas Cranach oder doch mit einem Cranach nahe
stehenden Meister verwechselt worden, hat zunächst
der Umstand verschuldet, dass die Flügel mit Heiligen
Nr. 282—285 der Münchener Pinakothek, die auch
der Münchener Katalog wenigstens „einem Cranach

nahestehenden Künstler" zuschreibt, zu irgend einer
Zeit in Zusammenhang gebracht worden sind mit dem
grossen St. Mauritius-Bilde Nr. 281 derselben Samm-
lung, das ein unbezweifeltes Werk des Matthias Grüne-
wald ist Da dieses Bild vom Kardinal Albrecht von
Brandenburg in die im Jahre 1518 von ihm erbaute
Kollegiatskirche zu Halle a. S. gestiftet worden, so
wäre es in der That nicht besonders auffallend, wenn
die Flügel von einem sächsischen Meister hinzugefügt
worden wären. Nachweisen aber lässt es sich über-
haupt nicht mehr, dass diese Flügel, die übrigens
höher sind als das Mauritiusbild, von Haus aus für
dieses gemalt worden. Nachgewiesen ist nur, dass
alle fünf Bilder in der Reformationszeit in die Stifts-
kirche von Aschaffenburg, von hier 1802 ins Aschaffen-
burger Schloss, 1836 in die Münchener Pinakothek
übergeführt worden. Jedenfalls war man damals von
der Zusammengehörigkeit der Flügel und des Mauritius-
bildes überzeugt. Man übersah den grossen Unter-
schied zwischen der Malweise des Mittelbildes und
der Flügel, hielt alle fünf Bilder für eigenhändige
Werke Grünewald's, dessen Kolmarer Altar damals
der deutschen Kunstforschung noch kaum bekannt
war, und schrieb auf Grund jener Flügel nun dem
Grünewald eine ganze Reihe anderer Bilder zu, die,
wie sie, jedenfalls eine viel grössere Ähnlichkeit mit
den Werken Cranach's hatten, als mit dem unzweifel-
haft von Grünewald gemalten Mittelbild mit dem heil.
Mauritius. Da man die Ähnlichkeit zwischen diesen
angeblichen Bildern Grünewald's und den unzweifel-
haften Werken Cranach's nun aber keineswegs über-
sah, so schloss man ohne weiteres, dass Lucas
Cranach d. Ä. ein Schüler Grünewald's gewesen sei.
Auf diesem Standpunkt, wenigstens auf dem Stand-
punkte, alle jene fraglichen Bilder Grünewald zuzu-
schreiben, standen die angesehensten deutschen Kunst-
forscher der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihn vertrat
J- D. Passavant im Kunstblatt 1841 und 1846; ihm
schloss Ernst Foerster sich in seiner ./Geschichte der
deutschen Kunst" (1851 —1853) an; er tritt in G. F.
Waagen's periegetischen und kritischen Schriften (z. B.
Kunstwerke und Künstler, 1843; Deutsches Kunst-
blatt 1854, S. 202) hervor und wird in desselben
Schriftstellers „Handbuch der deutschen und nieder-
ländischen Malerschulen" (1862) verfochten, ja er erlitt
auch noch in Crowe's englischer Ausgabe dieses
Werkes 1874 keine Veränderung. Auch die späteren
Auflagen von Franz Kugler's Geschichte der Malerei
(erste Auflage 1837, dritte Auflage 1867) verkündigen
diese Auffassung, wenngleich gerade Kugler den noch
gegenwärtig in der Marienkirche zu Halle a. S. be-
findlichen Altar, der von anderen Grünewald zuge-
schrieben wurde, früher (vgl. Kleine Schriften-1854, II,
S. 34) ausdrücklich für Cranach in Anspruch nahm.
Selbst Schuchardt's Werk über Lukas Cranach (1851
 
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