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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Woermann, Karl: Die Cranach-Ausstellung (Dresden 1899) und die Pseudogrünewald-Frage
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Die Cranach-Ausstellung (Dresden 1899) und die Pseudogrünewald-Frage.

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bis 1871) folgt der gleichen Grundanschauung; nur
leugnete Schuchardt, dass Cranach Grunewalds Schüler
gewesen sei.

Seit man nun aber um die Mitte der siebziger
Jahre anfing, sich eingehender mit Grünewald und
seinen beglaubigten Gemälden zu beschäftigen, fiel
es der deutschen Kunstforschung plötzlich wie Schuppen
von den Augen, so dass sie die Unmöglichkeit er-
kannte, jene Münchener Flügel und alle übrigen, ihnen
zuliebe auf Grünewald getauften Bilder auf den
grossen Meister von Aschaffenburg zurückzuführen.

Alfr. Woltmann hat dies in seiner Geschichte der
deutschen Kunst im Elsass (1876. Vorwort von 1875,
S. 259) wohl zuerst ausgesprochen: »Das alles sind
Arbeiten der sächsischen Schule, dem Lucas Cranach
verwandt." W. Schmidt (jetzt Direktor des Kgl.
Kupferstich-Kabinets zu München) stellte es um die
gleiche Zeit (Repertorium 1876, S. 411— 412) für die
grossen Münchener Flügelbilder fest. Er schrieb sie
der Werkstatt L. Cranach's zu und sagte: »Sie sind
ganz in der Manier des Meisters Lucas, Gesichter,
Farbe, Faltenwurf, alles stimmt____ aus diesen Flügel-
bildern hat man sich dann das Bild eines dem L.
Cranach verwandten Meisters Grünewald zusammen-
gesetzt und damit eine heillose Verwirrung angerichtet."
Eisenmann gebrauchte in seiner Lebensbeschreibung
Cranach's in Dohme's »Kunst und Künstler« (1877)
wohl zuerst die Bezeichnung »Pseudogrünewald" für
den Meister aller jener fälschlich Grünewald zuge-
schriebenen Bilder. Er unterschied ihn von Cranach
selbst, obgleich er meinte, er müsse in irgend welchem
näheren Verhältnis zu diesem gestanden haben, ent-
weder als Lehrer oder als Mitschüler bei Cranach's
Vater; während Woltmann in der Allg. deutschen
Biographie IV, 1876, S. 569 alle jene Bilder „der
Schule Cranach's" zuschrieb, „ohne dass sich seine
eigene Teilnahme nachweisen Hesse".

Am gründlichsten hatte in jenen Jahren L.
Scheibler die Werke Cranach's und „Pseudogrüne-
wald's" studiert; und das Ergebnis dieser Studien war
für ihn, dass die besten der „Pseudogrünewaldbilder",
wie jene Münchener Flügel, von Lucas Cranach d. Ä.
selbst, andere von seinen Schülern gemalt seien,
dass jedenfalls alle der Werkstatt des Meisters an-
gehörten. Scheibler, der eine gewisse Abneigung da-
gegen hatte, seine Studien zu veröffentlichen, sprach
seine Ansicht zunächst in befreundeten Forscherkreisen
aus; und sie fand bald solchen Anklang, dass Alfr.
Woltmann schon in seiner Behandlung Grünewald's in
„Kunst und Künstler" und mit denselben Worten in
seiner 1879 veröffentlichten Besprechung dieses Meis-
ters in der Allg. deutschen Biographie in Bezug auf
die „Pseudogrünewald" zugeschriebenen Bilder, seiner
früheren Ansichtentgegen, sagte: „Es waren Werke,
die entweder von Cranach selbst oder von seiner Schule

herrührten." AuchO. Eisenmann bekehrte sich bald zu
dieser Ansicht. Scheibler selbst deutete sie öffentlich in
dem von ihm mitverfassten „Beschreibenden Verzeichnis"
der Berliner Galerie von 1883 S. 102 an. Dagegen
verteidigte er sie 1881 handschriftlich ausführlich in
einer Zuschrift, die er an den Verfasser dieser Zeilen
richtete, um ihn in Bezug auf die »Geschichte
der Malerei" für sie zu gewinnen. Nachdem der
Verfasser eine grosse Anzahl der in Frage kommenden
Bilder mit Scheibler's Bemerkungen in der Hand nach-
geprüft — gerade die Bilder in der Provinz Sachsen
hatte er damals allerdings keine Gelegenheit darauf-
hin selbst zu untersuchen —, schloss er sich rück-
haltlos der Ansicht Scheibler's an; und diese Ansicht
kam denn auch in Woltmann's und seiner Geschichte
der Malerei S. 419—420 (die betreffende Lieferung
muss 1881 erschienen sein) zur Geltung. Schien sie
doch auch um so wahrscheinlicher zu sein, als einige
Hauptbilder des falschen Grünewald, wie das Bild in
der Bamberger Galerie und das Altarwerk in Halle a. S.,
bereits durch alte, in Schriftquellen verzeichnete Über-
lieferung auf Cranach zurückgeführt worden waren.

In eine neue Phase trat die Frage, als F. Nieder-
mayer in der Kunstchronik (XVII, 1882, Sp. i2gff.;
vgl. auch Repertorium VII, 1884, S. 253) seine Ent-
deckung veröffentlichte, dass es in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts einen Maler Simon von Aschaffen-
burg gegeben habe, der, da seine Witwe Pension
empfing, Hofmaler des Kurfürsten von Mainz, Kardinals
Albrecht von Brandenburg, gewesen sein müsse. Nieder-
mayer knüpfte an diese Entdeckung die Vermutung,
jener Pseudogrünewald, der scharf von Cranach zu
unterscheiden, wenn auch vielleicht aus dessen Schule
hervorgegangen sei, sei kein anderer als eben dieser
Simon von Aschaffenburg gewesen. Der Verfasser
dieser Zeilen widersprach dieser Ansicht in dem gleichen
Jahrgange der Kunstchronik Sp. 201 ff.; Niedermayer
antwortete Sp. 365 ff. Die Redaktion schloss damit
die Debatte.

Niedermayer's Ansicht fand besonders in Süd-
deutschland viele Anhänger und erschien völlig als
Siegerin, als Hub. Janitschek sie sich in seiner »Ge-
schichte der deutschen Malerei" (1890, S. 396) aneignete,
ja noch verschärfte, indem er eine Schülerschaft des ver-
mutlichen Simon von Aschaffenburg bei Cranach nicht
zugab, sondern nur v Beziehungen zu Grünewald wie
zu Cranach" gelten Hess. Übrigens gab Janitschek
seinem „Pseudogrünewald" nur einige der eine Zeit-
lang Grünewald zugeschriebenen Werke, andere der-
selben schrieb er (S. 397) einem anderen Meister zu,
der einen noch stärkeren Einfluss von Cranach er-
fahren habe, jedenfalls aber auch ein Aschaffenburger
Meister gewesen sei; ja wenigstens zwei der „Pseudo-
grünewaldbilder", die heil. Anna Selbdritt des Berliner
Museums und die ihr Kind stillende Madonna der
 
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