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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Seeck, Otto: Ein neues Zeugnis über die Brüder van Eyck, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0050

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Ein neues Zeugnis über die Brüder van Eyck.

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den ersten Blick erscheint, ist es doch nicht schwer
zu erklären. Dass Jan bei Hofe eine angesehene
Stellung einnahm, sein älterer Bruder als schlichter
Bürger in Gent lebte, mag mit dazu beigetragen
haben; viel wichtiger aber war, dass jener seine Werke
meist signierte, dieser nie. Indem man auf den farben-
leuchtenden Bildchen, die feinsinnige Sammler in Nord
und Süd zu ihren kostbarsten Besitztümern rechneten,
immer wieder jenes »Johannes de Eyck me Jecit« mit
schönen augenfälligen Buchstaben geschrieben sah,
wurde der jüngere Bruder für den Kunstfreund zur
wohlbekannten Individualität, während die Bilder des
älteren zum Teil vielleicht nicht weniger geschätzt
waren, aber namenlos blieben oder unter falschen
Namen gingen, meist wohl unter dem des Jan van
Eyck1). War doch selbst ein so dürftiger Oeselle,
wie Petrus Christus, nur weil auch er seine Gemälde
zu bezeichnen pflegte, dem Vasari besser bekannt, als
der grosse Hubert. Die Schrift ist eben immer der
zuverlässigste Träger der Überlieferung, und wer auf
ihre Hilfe verzichtet, wird nur zu leicht vergessen
oder verkannt.

Die Signaturen von Jans Bildern erklären es auch,
warum man ihn zum Erfinder der Ölmalerei stempelte.
So lange es eine historische Forschung giebt, hat sie
gern bei der Frage verweilt, welchen Männern die
Menschheit die verschiedenen Errungenschaften ihrer
Kultur verdanke, und zu ihrer Beantwortung hat man
sich immer der gleichen Methode bedient. In erster
Linie suchte man nach einem ausdrücklichen Zeugnis;
liess sich aber ein solches nicht entdecken, so sah
man in demjenigen den Erfinder, bei dem sich das
betreffende Verfahren zuerst nachweisen liess. Belle-
rophon soll das Reiten erfunden haben, weil seine
Besteigung des Pegasos der älteste Ritt war, von dem
die griechische Sage zu erzählen wusste; Danaos den
Schiffbau, weil man in ihm den frühesten Einwanderer
erblickte, der über See gekommen war, also jedenfalls
ein Schiff besessen hatte; die Tirynthier waren Er-
finder des Turmbaus, weil Türme von älterer Bauart,
als sie noch jetzt in Tiryns erhalten sind, schon den
Griechen nicht bekannt waren. Beispiele derselben
Art lassen sich zu Hunderten anführen und nicht
nur aus den antiken Historikern; selbst in gelehrten
Untersuchungen unserer Zeit findet sich die gleiche
Methode wieder, nur dass sie etwas vorsichtiger an-
gewandt wird. Dass sie auch den Kunstforschern des
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts nicht fremd
war, kann man daher als selbstverständlich betrachten.
Nun sind die Bezeichnungen Jan van Eyck's ausnahms-
los von Jahreszahlen begleitet, die mit 1432 beginnen
und bis 1439 herabreichen. Die meisten seiner Bilder
waren also genau datiert, und frühere Ölgemälde

1) Es ist daher sehr wohl möglich, dass diejenigen
Bilder, welche uns nur die litterarische Überlieferung als
Werke Jan's nennt, thatsächlich dem Hubert gehörten. Bei
dem heiligen Franciscus in Turin habe ich dies zu erweisen
versucht (Die charakteristischen Unterschiede der Brüder
van Eyck S. 13), und bei der Otternjagd und dem Frauen-
bade, die leider nicht erhalten sind, ist die gleiche Annahme
nicht ausgeschlossen.

kannte man nicht, ja von den Italienern wusste man
sogar bestimmt, dass sie jene Technik erst viel später
angewandt hatten. So musste er mit innerer Not-
wendigkeit zum Erfinder der Ölfarbe gemacht werden,
und da man als selbstverständlich annahm, dass alles
Gute und Vollkommene in der Kunst schon den
Griechen und Römern bekannt gewesen sei, konnte
er seine Entdeckung nur dem Studium ihrer Schriften
verdanken. Wegen seiner Meisterschaft in der Per-
spektive gelangte man dann zu dem weiteren Schlüsse,
| er müsse sich auch mit Geometrie beschäftigt haben.

So entstand das älteste historische Zeugnis über Jan
i van Eyck, wenn wir das ein Zeugnis nennen wollen,
was nicht auf Überlieferung, sondern nur auf gelehrter
Kombination beruht. Im Jahre 1456 schrieb Facius:
Johannes Galliens nostrl saeculi pictorum prineeps
iudicatus est, litterarum non nihil doctus, geometriae
praesertim et earum artiuin, quae ad picturae orna-
mentum accederent; putatiirque ob eam rem multa de
colorum proprietatibus invenisse, quae ab antiquis
tradita ex Plinii et aliorum auetorum lectione didicerat.
Worin das Neue in dem Verfahren des Jan van Eyck
liegt, ist dem Facius noch unbekannt; er sah, dass
die niederländischen Bilder sich von den italienischen,
die damals noch alle in Tempera gemalt wurden,
durch ihren leuchtenderen Farbenglanz unterschieden,
wusste aber noch nicht anzugeben, was der Grund
davon war. Erst als auch in Italien die Öltechnik
allgemein verbreitet war, konnte man in Jan van Eyck
ihren Vorläufer erkennen. Vasari's lebhafte Phantasie
hat dann die Erfindung Jan's, die er schon als feste
J Tradition übernahm, in allen Einzelheiten auszumalen
j gewusst, und durch sein vielgelesenes Buch wurde
' sie auch den Niederländern bekannt, die vorher von
diesem Ruhmestitel ihres eigenen Landes gar nichts
j gewusst hatten.

So besassen denn die neuen Generationen von
Küstern, die in St. Bavo auf die Fremden lauerten,
seit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts für
ihren Schatz einen Künstlernamen, der freilich falsch
war oder doch nur halb richtig, aber jedenfalls den
Zweck erfüllte, dem kunstsinnigen Reisenden mächtig
zu imponieren. Und seit der Maler des Altars zur
i greifbaren Persönlichkeit geworden war, wollte man
' auch wissen, wie er ausgesehn habe. War es doch
j mehr als wahrscheinlich, dass unter den unzähligen
Köpfen, die das grosse Werk umfasste, sich auch
sein Selbstporträt versteckte. Aus vielen anderen Bei-
spielen konnte man wissen, dass die Malerbildnisse
am häufigsten in die linke Ecke gesetzt wurden, und
I auf dem äussersten linken Flügel befand sich wirklich
I ein Gesicht, das in seinen individuellen Zügen, in
1 der nach vorne gewendeten Haltung, in dem forschen-
den Blick der Augen, die ihr Spiegelbild prüfend zu
betrachten schienen, alle Charakteristika des Selbst-
porträts in sich vereinigte. In ihm erkannte man den
Maler und dies wahrscheinlich mit Recht, nur dass
man ihn natürlich Jan van Eyck statt Hubert taufte.

Das Verdienst, auch diesen in die Kunstgeschichte
eingeführt zu haben, gebührt Ludovico Guicciardini,
der in seiner 1566 vollendeten Descrizione di tutt
 
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