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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Beyer, C.: Zum fünfzigjährigen Romjubiläum von Joseph von Kopf
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Friedrich Schlie

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Griechenland leichter wird zu sammeln, als vor
50 Jahren als hungernder Bildhauerlehrling in München.
Hier zwischen den Gestalten seines Meisseis lernen
wir aber auch den noch immer jugendlich enthu-
siastischen und klarblickenden, über eigene und fremde
Kunst nachdenkenden, unermüdlich schaffenden Künst-
ler besonders schätzen, für den der Wunsch eines
otium cum dignitate noch durchaus verfrüht erscheint.
Die dignitas ist dem Nestor unter den deutschen
ausübenden Künstlern Roms, dem Ehrenmitglied des
deutschen Künstlervereins, ja längst in Titeln, Orden
und Ehrungen aller Art zu teil geworden, und sein
Romjubiläum wird neue bringen, aber den Meissel
wird die fleissige Hand sicherlich und glücklicher-
weise sobald noch nicht sinken lassen.

G. VON GRAEVENJTZ.

FRIEDRICH SCHLIE

Am 21. Juli dieses Jahres starb der Geheime Hof rat
Professor Dr. Schlie, Direktor des Grossherzoglichen
Museums und der Grossherzoglichen Kunstsamm-
lungen in Schwerin. Die deutsche Presse hat sich
bisher um den Verlust, den dadurch die Kunstwissen-
schaft erlitten hat, wenig gekümmert, und doch ist
es der Mühe wert, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise
auf die Bedeutung des ausgezeichneten Mannes hin-
zulenken. Es lag in ihm der Zug ins Grosse, er
war eine Herrennatur im besseren Sinne des Wortes,
ein Kind des Volkes, das sehr früh den Blick über
den engen Gesichtskreis hinaus zu den Höhen richtete,
wo das Edle und das Schöne, die Kunst und die
Schaffensmöglichkeit in weiten Bahnen wohnen, und
indem er sich mit eigener Kraft und jener Zähigkeit,
die ihm aus dem mecklenburgischen Grunde, wo seine
Heimat war (geb. in Brüel am 12. Dezember 1839),
erwuchs, heraufarbeitete, seine hohe Geisteskraft mit
nie verminderter Liebenswürdigkeit jedem, der seiner
bedurfte, zur Verfügung stellte, hat er sich gleichsam
selbst geadelt.

Der Sohn eines Volksschullehrers gegen die Mitte
des vorigen Jahrhunderts und dabei ausgerüstet mit
nie gesättigtem Wissensdurste — jedermann, der das
hört, weiss, dass vor dem heranwachsenden Jünglinge
die härtesten Kämpfe, schwere Seelenbedrängnisse und
Enttäuschungen liegen. Wie viele herrliche Kräfte sind
bei anderen darin ermüdet, eingetrocknet und verdorrt.
Wie oft scheiterte der Sohn, dem der in ärmsten Ver-
hältnissen lebende Vater nichts für eine weitere Aus-
bildung geben konnte, nach kurzem Anlauf auf einer
kümmerlichen Landschulstelle und sah dann später
mürrisch und verdrossen und unzufrieden nur die
Trümmer hoher Lebenshoffnungen um sich herum
schwimmen. Vor diesem Schicksale wurde Schlie
bewahrt, nicht etwa weil sein Vater besser gestellt war,
als andere Lehrer, sondern weil der Sohn die zäheste
Willenskraft besass, die vor keiner Entbehrung zurück-
scheute und keiner Schwierigkeit auswich, ferner weil
er früh wusste, was er wollte und sein Ziel sich ge-
setzt hatte, schon damals, als er als Knabe von sech-
zehn Jahren mit halber Ausbildung die Schule ver-

lassen musste, um sich sein Brod selbst zu verdienen.
Studieren wollte er unter allen Umständen, den Glanz
des klassischen Altertums, den er nur von ferne hatte
schauen dürfen, voll in seine Seele strahlen lassen.
Fünf lange Jahre musste er Privatlehrer sein und durfte
das begehrte, ersehnte Land nur immer von fern her
winken sehen. Dann hatte er die Mittel, dass er, der
einundzwanzigjährige, auf das Gymnasium übergehen
konnte. Privatunterricht, immer Privatunterricht musste
er erteilen, um leben zu können, so als Schüler, so
als Student (seit Ostern 1863 in Rostock). Endlich
wurde der Hemmschuh abgeworfen, Stipendien er-
möglichten ihm den freieren Flug, zunächst nach
München, wo er schon 1867 den Doktorgrad erwarb,
dann nach Rom zu archäologischen Studien.

Schlie hat niemals zu den Stockgelehrten gehört,
die wie hypnotisiert unter dem Banne des Altertums
stehen und der Ansicht sind, dass nur das Leben im
Altertume den wahren Kunstfreund befriedigen kann.
Er war viel zu schaffenslustig und lebensfroh, viel zu
volksliebend und vorwärtsdrängend, als dass er sich
hätte seitwärts vom Zuge der Zeit aufstellen mögen
und nicht sein Kennen und Können in den Dienst
der Gegenwart stellen, um der Zukunft vorzuarbeiten.
Die Archäologie war ihm allerdings eines der edelsten
Mittel für diesen Zweck. Wo aber ihm ein neues
Gebiet der Kunst der Gegenwart oder der deutschen
Kunst der Vergangenheit sich auftat, ruhte er nicht,
bis er es betreten hatte und mit seiner mecklen-
burgischen Gründlichkeit sich mit ihm vertraut ge-
macht. Er ist bis in sein Alter ein Lernender geblieben,
um ein tüchtig Lehrender sein zu können. Und darin
ruht ein Hauptzug seiner Bedeutung, dass er sehr
gern aus der Fülle seines Wissens mitteilte und zwar
nicht nur Fachgenossen und Gebildeten, sondern auch
Handwerkern, ja dem geringsten Manne aus dem
Volke, wenn der ihn nur hören wollte. Er besass
eine vorzügliche Gabe, selbst das Schwerverständliche
klar und schlicht zu sagen, mit einfachen, ungezierten
und doch schön gewählten Worten unverständliche
Fachausdrücke zu vermeiden, das Wichtige herauszu-
heben und scharf zu umreissen, so dass es ihm im Ge-
spräch gelang, Leute vom Lande, die sich nie um das
Aussehen ihrer Dorfkirche oder um Altertümer, die
der Boden barg, gekümmert hatten, plötzlich zu wecken,
mit Teilnahme zu füllen und gleichsam in eine neue
Welt hineinschauen zu lassen.

Zur Herausbildung dieser Gabe ist ihm gewiss
seine Thätigkeit als Gymnasiallehrer (in Waren 1869
bis 1877, in Schwerin 1877 bis 1878) von Vorteil
gewesen.

Schon während seines Aufenthaltes in Italien war
der Intendant der Grossherzoglichen Kunstsammlungen
in Schwerin, Eduard Prosch, auf ihn aufmerksam ge-
worden und hatte ihn damals zur Aufstellung eines
Planes zur Beschaffung von Gipsabgüssen für das
neu zu erbauende Museum veranlasst, auch die Auf-
merksamkeit des Landesherrn auf ihn gelenkt. Als
Prosch im Jahre 1878 starb, wurde Schlie zum
Direktor der Kunstsammlungen bestellt und stand
bald (1882) vor der schweren Aufgabe, die bisher
 
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