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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Gümbel, Albert: Agnes Dürerin und ihre Stipendienstiftung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0084

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145

Agnes Dürerin und ihre Stipendien-Stiftung

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dass Camerarius, einer der eifrigsten Teilnehmer des
von Müllner ins Leben gerufenen wissenschaftlichen
Kränzchens, mit Dürer eng befreundet war, ist bekannt.
So ergiebt sich mühelos eine Verbindung zwischen
dem geistvollen Juristen und dem Dürer'schen Hause,
welche auch nach dem Tode des Meisters fortdauerte.
Vielleicht stand er Frau Agnes bei der Abwickelung
der vielfach nach Dürer's Hinscheiden an seine Witwe
herangetretenen schwierigen Rechtsgeschäfte — z. B.
dem Vorgehen gegen unberechtigten Nachdruck
Dürer'scher Werke und Stiche gleich Camerarius,
von dem dies hinreichend bezeugt ist als Berater
zur Seite. Oder sollten etwa er und seine Ehefrau
jene »fremden Hauswirte« sein, bei welchen nach
dem Berichte Dr. Christoph Scheurl's Frau Agnes
am 28. Dezember 153g verschied1).

Aber wie dem auch sein mag und ob neue, ur-
kundliche Zeugnisse hierüber zum Vorschein kommen
mögen, die eine, unseres Erachtens wichtigste That-
sache steht schon aus jenem Testamentsfragment fest,
dass zwischen einem Manne, der sich der grossten
Wertschätzung seitens seiner Zeitgenossen erfreute")
und Dürer's Ehefrau eine Verbindung bestand, welche
letztere zur Beurkundung herzlicher Dankbarkeit an-
gesichts des Todes veranlasste; nach unserer Ansicht
ergänzt dieser Zug in bester Weise das freundliche
Bild, welches Thausing uns von der Lebensgefährtin
eines der grössten deutschen Männer gezeichnet hat.

Jetzt erübrigt noch die Erörterung eines Punktes,
wie sich nämlich der oben erwähnte, in den Scheurl-
schen Aufzeichnungen vom Jahre 1542 zu findende
Todestag der Wittwe Dürer's (28. Dezember 1539)
mit dem Datum unseres Testamentfragmentes »Act.
Dinstag nach dem h. Christag Im 1540 jar«, ver-
trägt. Die scheinbare Schwierigkeit der verschiedenen
Jahreszahlen verschwindet sogleich, wenn wir uns er-
innern, dass man im Nürnberg jener Zeit das neue
Jahr nicht mit dem ersten Januar, sondern mit dem
25. Dezember begann. Obiges Datum des Testamentes
ist also der 30. Dezember 1539. Die Schwierigkeiten
liegen in der Vereinigung der Tagesangaben. Um hier
den richtigen Gesichtspunkt zu gewinnen, möge es
gestattet sein, etwas näher auf die Formalitäten ein-
zugehen, unter welchen damals ein rechtskräftiges
Testament zu stände kam. Einschlägig sind hier die
Bestimmungen des Nürnberger Stadtrechts, der soge-
nannten Reformation vom Jahre 1522, welche vor-
schrieb, dass das Testament vor zwei Genannten des
grösseren Rates3) errichtet werden müsse, welche es
sofort zu schliessen und vermittelst Aufdrückung ihres
Genanntensiegels unter Beifügung ihrer Namen zu be-
glaubigen hatten. Dann nahm es einer derselben in Ver-

1) Thausing, I, pag. 154.

2) Vgl. Heerwagen a. a. O.

3) Das Kollegium der Genannten < war ein Ausschuss
der Nürnberger Bürgerschaft, dessen Mitglieder der Rat
ernannte. Nur bei ganz besonders wichtigen Angelegen-
heiten wurde er zur Beratung zusammenberufen, eine be-
deutsame Rolle spielte er auch bei der alljährlichen öster-
lichen Ratswahl. Auch der Licentiat Müllner war seit
1527 Genannter des grösseren Rates.

wahrung und brachte es nach dem Tode des Erblassers
in die Ratskanzlei, wo es auf Pergament überschrieben
und mit dem Stadtsiegel versehen wurde. Die Formel
lautete hierbei: Wir Bürgermeister und Rat u. s. w. be-
kennen, dass uns die unten Bezeichneten, unsere Bürger,
ein Testament, das vor ihnen, als Genannten, erzeugt
worden ist, auf heut Dato verschlossen und versiegelt
übergeben haben nachstehenden Inhalts ... Es folgte
sodann der Wortlaut des Testamentes mit Angabe
des Datums der Errichtung (Actum den . . .), die
Namen der Zeugen, endlich der Vermerk der Besie-
gelung mit dem Stadtsiegel und das Datum dieser
Besiegelung (Geben u. s. w.). Es entsteht nun die
Frage, ob sich jenes Datum des 30. Dezember 153g
auf den Tag der Testamentserrichtung oder den Tag
der Besiegelung bezieht, beziehungsweise ob Scheurl's
Angabe des Todestages einer Korrektur bedarf. Nach
dem oben über die verschiedenen Formeln gesagten,
mit welchen einerseits das Datum der Errichtung (mit
Actum), andererseits das Datum der Besiegelung (mit
»Geben«) eingeleitet wird (und dies gilt ausnahmslos
für die zahlreichen im K. Kreisarchive Nürnberg ver-
wahrten Testamente jener Zeit) müsste unbedingt das
erstere angenommen werden, da das Datum unseres
Fragmentes mit >Actum« beginnt; es hätte also Dürer's
Witwe den 30. Dezember noch erlebt. Nun haben
wir aber leider nicht das Original des auf Pergament
ingrossierten und mit dem Stadtsiegel versehenen
Testamentes vor uns, sondern nur einen für Ver-
waltungszwecke der Losungsstube gefertigten Auszug.
Diesem hat dann der Abschreiber noch die orien-
tierende Notiz beigefügt: Söllich der Dürerin Testament
ist nach dem form vnndter gemainer Stat Nurmberg
anhanngender Insigel ausgangen. Act. u. s. w. Es
erscheint sehr fraglich, ob ihm bei Niederschrift der
letzteren Formel der oben gekennzeichnete Unterschied
gegenwärtig war, nach dem Wortlaut ist wohl kaum
etwas anderes anzunehmen, als dass er das Datum der
Besiegelung in der Losungsstube im Auge hatte. Diese
Formel lag ihm um so näher, als alle Datumsangaben
in jenern Ewiggeltbuche mit »Actum< eingeführt
werden. Die Raschheit der Ausfertigung (wenn wir
an dem Scheurl'schen Datum festhalten) spricht an
und für sich nicht dagegen. Zum Beispiel können
wir das Gleiche, allerdings in etwas späterer Zeit
beim Tode Christoph Pessler's des Älteren beobachten.
Dieser starb am 5. oder 6. Juli 1581, am 7. gleichen
Monats wurde er begraben, schon unter dem 8. Juli
wird das Testament in der Ratskanzlei abgeschrieben
und besiegelt. In anderen Fällen sehen wir drei bis
acht Tage zwischen dem Termin des Ablebens und
der offiziellen Ausfertigung des letzten Willens ver-
strichen. Völlige Gewissheit könnte uns freilich nur
eine urkundliche Aufzeichnung, beziehungweise die
Auffindung des Testamentes selbstl) geben.

1) Hierzu dürfte freilich wenig Hoffnung sein; die
alten Nürnberger Testamente des 16. Jahrhunderts, welche
nach der oben geschilderten Beglaubigung durch das
Losungsamt ihren endgültigen Platz in der Registratur des
Vormundamtes fanden, werden schon 1859 als fehlend be-
zeichnet. Ein unersetzlicher Verlust für die Nürnberger
 
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