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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0145

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267 Pariser Brief 268

italienischen und spanischen Klöster, Kirchen und
Paläste ausrauben konnte, verlegte sich der französische
Staat nicht etwa auf den ehrlichen und teueren Ein-
kauf, sondern er verliess sich auf die Freigebigkeit der
Privatsammler, und diese Freigebigkeit hat die kühnsten
Hoffnungen überschritten. Zwar haben die Samm-
lungen im Louvre dadurch ein buntscheckiges Aus-
sehen erhalten, indem, wie es gerade der Zufall oder
die Laune der Schenker brachte, ein vielleicht minder-
wertiger Künstler ganz vollständig vertreten ist,
während ein anderer, viel bedeutenderer Mann ganz
fehlt oder sich nur sehr schwach zeigt, aber diese
Lücken scheinen doch nach und nach verschwinden
zu sollen. Eine davon ist durch die Sammlung
Thomy-Thiery in glänzender Weise ausgefüllt worden.
Diese Sammlung macht nicht wie die überschwenglich
gelobte Kollektion Dutuit den Eindruck einer Rumpel-
kammer der Kunst, sondern sie zeigt uns, dass ihr Be-
sitzer wirklichen Geschmack, feines Verständnis und eine
scharf ausgeprägte Eigenart besass. Privatsammler,
die Tanagrafigürchen und Renaissancebronzen, Rem-
brandtstiche und Louis Quinze-Möbel, pompejanische
Malereien und ägyptische Mumien, persische Fayencen
und chinesische Schnitzereien sammeln, sind eigentlich
nur Steckenpferdreiter, die mehr der Kuriosität als
dem künstlerischen Genüsse nachjagen. Eine solche
Sammlung spiegelt kein fest gegründetes Bild ihres
Besitzers wider, sondern erinnert uns an die bunt
zusammengewürfelten Magazine der Antiquitäten-
händler.

Bei Thomy-Thiery aber ist das nicht der Fall:
er sammelt ausschliesslich Franzosen aus dem zweiten
Drittel des 19. Jahrhunderts und wählt sich auch hier
unter Ausschluss der ganzen offiziellen und akade-
mischen Kunst fast nur Leute aus dem Walde von
Fontainebleau. In dieser Beschränkung aber zeigt
sich der Sammler als Meister. Wer jetzt die be-
deutendste Epoche der Malerei im 19. Jahrhundert
studieren will, findet im Louvre alles beisammen und
braucht nicht mehr in allen möglichen Privatsamm-
lungen und Provinzmuseen Ergänzung der Louvre-
lücken aufzusuchen. Die grössten der grossen Land-
schaftsmaler von Barbizon sind hier mit den ent-
zückendsten Perlen ihrer Kunst vertreten, gerade mit
solchen Bildern, die wegen ihres geringen Umfanges
von Museen ungern gekauft werden, die aber die
Seele des Künstlers in ihrer herrlichen Nacktheit
offenbaren, während er in grösseren Arbeiten oft
gleichsam das Sonntagsgewand angelegt hat. Die
Grossen sind alle da, aber ich glaube, keiner ist so
herrlich vertreten wie Rousseau: von ihm sind vier
berühmte und unvergleichliche Bilder da: das Dorf
unter den breitästigen dunkellaubigen Bäumen, die
lieblichen Ufer der Loire, die gewaltigen Eichen auf
kleiner Anhöhe im freien Felde und der Frühling
mit den lichten, schlanken Bäumen an dem Teiche,
über den hinweg man weit, weit hinausschaut in die
sonnenfrohe, lachend helle, grüne Au. Dazu gesellen
sich dann wohl acht oder zehn köstliche kleine
Arbeiten, eines wie das andere ein leuchtender Edel-
stein in dem Schmuckkästchen dieser Sammlung: die

Ebene vor den Pyrenäen, der Ferge, der Teich, der
Waldesrand und andere, deren jedes das Glück einer
Privatsammlung ausmachen würde.

Von Corot sind ebenfalls zwölf oder mehr
Bilder da, lauter vorzügliche Sachen, unter denen dem
Beschauer die Wahl schwer wird. Zwei davon möchte
ich als ganz besonders bezeichnende Meisterwerke
des grossen Poeten hervorheben: der Teich mit den
Bäumen und den beiden Kühen im Wasser, am Ufer
eine Frau mit einem roten Häubchen, silbern vibrie-
rende Luft, zitterndes Laub, die ganze Poesie der
Natur auf die Leinwand hingebannt; und der Abend,
wo sich die schwarzen Baummassen gespenstisch von
dem leuchtend hellen Himmel abheben. Ich nenne
nur diese beiden, aber alle anderen Bilder Corot's
in dieser Sammlung sind wahre Kostbarkeiten, eine
hinreissender und bezaubernder als die andere. Fast
das nämliche lässt sich von den Daubignys sagen.
Auf dem »der Sumpf« genannten Bilde sind die
zarten Nüancen des Abendhimmels hingehaucht wie
mit Feenfingern, zehn andere Bilder besingen den
einschmeichelnden Reiz der stillen Flussufer und
Sumpflandschaften. Ich erwähne noch »la Vanne«,
wo sich das tiefe satte Grün der Bäume mit dem
kräftigen Blau des Himmels zu einem starken Accord
vereinigt. Auch für Dupre kann man sich nur
wiederholen. Ein Sonnenuntergang am Sumpfe ist
so delikat in seiner herrlichen Leuchtkraft, dass man
vergebens nach Worten des Lobes sucht. Alle diese
Leute waren eben Poeten, Poeten, die mit offenen
Augen in die Natur hineinschauten, die voll und
frei den würzigen Odem von Wiese, Wald und Feld
einsogen, die das Geschaute und Empfundene ver-
kündeten mit der Wahrheit und der Begeisterung
echter Dichter. Vorzüglich vertreten ist auch Diaz.
Seine Nymphen im Walde gehören sicher zu den
feinsten, anmutigsten und poetischsten Erzeugnissen
seiner etwas schwankenden Kunst. Decamps ist
hier auf eine Weise vertreten, die fast einer Offen-
barung gleichkommt. Ganz besonders mit Bezug auf
seine ausgezeichneten Lichtstudien, Höfe, Interieurs
u. s. w., die in ihren überaus feinen und poetischen
Wirkungen von Licht und Schatten bald an Pieter
de Hooch, bald an die neueren Bail, Lhomond u. s. w.
erinnern. Indessen ist er nicht nur mit diesen
entzückenden, oft kaum handgrossen Bildchen ver-
treten: man lernt ihn in dieser Sammlung von
allen Seiten seines Talentes kennen: es giebt da
orientalische Scenen, Genrebilder, Hunde, Landschaften
und Marinen. Millet hat keine bedeutende Nummer
da, aber seine kleinen Bilder des Holzhackers, der
Wäscherin, der Heumacher u. s. w. zeigt ihn so gut,
wie er als Maler überhaupt gezeigt werden kann.
Troyon ist ebenfalls sehr stark vertreten und hat hier
einige seiner grossen und bekannten Bilder, die aber
nicht seine besten sind. In zweien der hier befind-
lichen Arbeiten, in der Schafherde im Walde und in
der Begegnung zwischen einer Schaf- und einer Kuh-
herde ebenfalls im Walde, lernt man ihn von seiner
besten Seite kennen. Von Fromentin ist eine algerische
Falkenjagd da, und dann sind hier noch drei Maler
 
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