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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Die Ausstellung der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0193

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Die Ausstellung der Berliner Secession

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Schatten schwerer Wolken das Licht der Sonne auf
die weit sich breitende Landschaft, auf die Wipfel
des heiligen Gartens und die nackten Körper des
zitternd am Boden sich verbergenden Menschenpaares
dringt. Zwei kleinere Bilder, eine »Leda« und eine
»Europa«, haben den entzückenden malerischen Reiz
des Hofmann'schen Ideallandes. Mit einer »Europa«,
freilich einer stark modernisierten Fassung des alten
Themas, tritt auch Corinth auf. Es ist wieder ein
»Schlager«: ein fetter Stier, der quer vor einem Dorf-
hintergrund steht, dessen männliche Kraft aber ein
saftig-dralles Mägdelein gebändigt hat, indem sie den
feisten Monstrebullen mit einem rosa Bande am
Nasenring regiert. Th. Th. Heine hat das Motiv
früher einmal zierlicher behandelt; Corinth hat es
mit der ganzen Wucht seiner halb kraftvoll-naiven,
halb gepfeffert-raffinierten Malerei vorgetragen. Ein
Porträt von Gertrud Eysoldt als Wilde's »Salome«,
das an einen älteren Corinth'schen »Schlager« er-
innert — er malt gern »Schlager«! —, und eine
etwas wüste Scene »Odysseus kämpft mit dem Bettler
Iros vor den schwelgenden Freiern« mit einem sata-
nistischen Gewimmel von hellen Fleischtönen nackter
Gliedmassen und blutigroten Farbenflecken haben
ebenfalls die derbe Sinnlichkeit seines Pinselstrichs.
Als »Auswärtiger« schliesst sich dieser Gruppe Wil-
helm Trübner an (der diesmal auch das sonst stets von
Liebermann verfasste programmatische Vorwort des Kata-
logs geschrieben hat). Er bleibt bei dem temperament-
vollen Impressionismus, der gelegentlich noch, so
jetzt in einem Damenbildnis, mit der ganzen unge-
bändigten Brutalität seiner breiten Striche daherrast,
aber doch auch über das Experimentieren hinaus zu
wirklich malerischen Lösungen kommt, wie in dem
famos plastischen Bilde des blauen Postillons vor
grünem Blätterhintergrund und in dem neuesten Reiter-
porträt, das, von einigen Gewaltsamkeiten abgesehen,
ein meisterhaftes Stück eindringlicher Naturbeobachtung
ist. Dieser Mann auf dem Pferde ist als realistische
Malerei fast noch interessanter als das Reiterbild von
Leibi, das freilich im Ton von unnachahmlicher
Schönheit ist. Noch ein prachtvolles Männerporträt
und eine Handstudie vertreten Leibi, den »Könner«
aller Könner, auf der Ausstellung, als den einzigen
der heimgegangenen deutschen Meister.

Unter den jüngeren Berliner Secessionisten treten
wieder die Brüder Hübner besonders hervor: Ulrich
mit farbig amüsanten Interieurs, in denen ihm sein
Bruder Heinrich in diesem Jahre scharfe Konkurrenz
macht, und mit einer luftig-sonnigen Flusslandschaft.
Dann Martin Brandenburg, der romantische Phantast,
dessen krause Versonnenheit einen so eigenartigen
Zauber hat — namentlich seine beiden »Jäger« zwischen
den hohen Stämmen eines dichten deutschen Waldes
fesseln diesmal —, und Hans Baluschek, der sich
in der Behandlung seiner Berliner Proletariertypen
nur schwer, aber doch mit sichtbarem Erfolg von
seiner früheren, etwas kalten Gegenständlichkeit zu
mehr malerischer Anschauung emporarbeitet. Philipp
Franck ist mit seiner impressionistischen Entwickelung,
die er vor nicht langer Zeit so energisch angebahnt

hat, noch nicht fertig; seine Figuren sind noch nicht
belebt genug, und es fehlt an farbiger Frische. Den-
noch ist ein bedeutender Fortschritt zu konstatieren,
zumal in dem »Kaffeegarten« mit dem an Liebermann
mahnenden, sehr gut gemalten Hintergrund. Eine
hervorragende Rolle spielt auf der Ausstellung das
Porträt. Reinhold und Sabine Lepsius haben zwei
Bildnisse in ihren bekannten feinen, blassen Farben
geschickt, Robert Breyer hat den Maler Philipp Klein
famos porträtiert, dieser eine junge Dame in weissem
Kleide in freier Landschaft, Kpnrad von Kardorff
den Abgeordneten Grafen Molkte, Leo von König
die Malerin M. Tardif — ein durch kecke Farben-
flecken höchst pikant belebtes Biedermaierstück —,
Erich Hancke den Schauspieler Pagay, Joseph Oppen-
heimer zwei Damen »Mutter und Grossmutter«. Max
Slevogt's Dragonerleutnant das dritte wichtige
Reiterbildnis der Ausstellung — enttäuscht ein wenig,
d. h. jedoch nur als Slevogt'sche Leistung. Vieles
daran, wie der landschaftliche Hintergrund, der Kopf
des Pferdes, der herrlich in der freien Luft steht, der
Elan und die Haltung des Offiziers, ist ganz pracht-
voll. Aber das Blau des Waffenrockes, das dem Bilde
schliesslich seine koloristische Note giebt, hätte Slevogt
doch vielleicht interessanter bewältigen können.

Ganz fehlt das Ausland natürlich nicht auf der
Secessionsausstellung. Die Wände des Eingangssaals
sind ganz von Segantini's grossem nachgelassenen
Bilder-Terzett »Die Natur«, »Das Leben«, »Der Tod«
in Anspruch genommen, diesen schon aus Paris be-
kannten, gewaltigen symbolischen Dichtungen, die
aus schlichtester Naturschilderung zu einer lapidaren
Sprache epischer Feierlichkeit sich erheben. In einem
kleinen Saale daneben herrschen Franzosen: Claude
Monet mit einer seiner glänzenden älteren Garten-
studien und einer »Kathedrale«, wohl aus Rouen, bei
der mir die gar zu weiche Malerei mit dem Charakter
des Motivs nicht in Einklang zu stehen scheint,
O. Bonnard mit ein paar pikanten Aktstudien, Eugene
Durenne, Albert Andre, d''Espagnat, Vuillard, Valloton,
Helleu, Blanche, Canals, Gauguin mit allerlei Studien,
die durchweg von grossem Farbengeschmack Zeugnis
ablegen, aber doch vielfach von einer recht äusser-
Iichen Flottheit sind — es sind kleine Leckerbissen,
die sehr appetitlich aussehen, aber nur als flüchtig zu
geniessende Vorspeise dienen können. Man wird von
diesen niedlichen Raffinements nicht satt. Anders
ist Ce'zanne, der wackere Vorkämpfer des Impressio-
nismus, den zwar selbst sein Freund Zola als ein
nicht zu voller Entwickelung gelangtes Talent be-
zeichnet hat, der aber in seiner genialischen Unbe-
holfenheit immer interessiert, ferner Forain, der spott-
lustige mondäne Zeichner, der als Maler freilich
weniger selbständig ist und in seinen drei nach Berlin
geschickten Bildern zweimal Degas und einmal Daumier
nachahmt, den letzteren in einer schon nicht mehr
recht gestatteten Anhänglichkeit, und schliesslich
Toulouse-Lautrec, von dem einige in Deutschland noch
unbekannte Scenen von Moulin de la Galette und
anderen Pariser »Vergnügungsstätten« zu sehen sind,
die in ihrer grotesken Wucht der Schilderung, in
 
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