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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Wustmann, Rudolf: Als Dürer's Mutter starb
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0225

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427

Als Dürer's

Mutter starb

428

Salamander, um dessen Auffälligkeit willen wohl
der rechte Pferdehinterfuss etwas höher als ursprünglich
beabsichtigt genommen wurde; er ist aus der natur-
geschichtlichen Symbolik des Mittelalters heraus zu
verstehen, wie sie für Dürer, der ja Symbole für
Bilder geradezu sammelte, aus dem um 1500 sehr
verbreiteten »Buch der Natur« Konrad's von Megen-
berg geläufig gewesen sein mag, er muss auch
der Mutter davon gesagt haben. Bei Megenberg
heisst es am Schlüsse einer Reihe naturwissenschaft-
licher Bemerkungen über den Salamander (nach der
neuhochdeutschen Ausgabe von Schulz): »Dem Sala-
mander gleicht die brennende Seele, die so stark in
der Flamme und Inbrunst der göttlichen Liebe
glüht, dass keinerlei unreine, fleischliche Begier an
ihr sich findet. Die Seele lebt einzig vom Tau der
göttlichen Gnade und der Luft, das heisst den Gaben
des heiligen Geistes. Im Feuer wird sie so rein und
klar, dass der göttliche Schein aus ihr leuchtet wie
aus einem reinen Spiegel, den Gott sich selbst als
kostbaren Schatz erwählt hat, nicht etwa zu einem
geringen, denn Gott schätzt die Seele nicht gering,
sondern als einen wertvollen Gegenstand seiner Liebe,
nach ihm selbst gebildet. Nun wisse, dass der Mensch
auf Erden, der auch nur einen Teil dieser Flamme
erwirbt und sich fleissig darin übt, zur Stunde so
glücklich wird, dass alle seine Sinne verschlossen
werden und er in eine so zarte und süsse Entzückung
verfällt, dass ich Hund sie dir nicht schildern kann.«
Das ganze also wieder und erst recht ein religiöses
Trostblatt, in erster Linie für die Mutter, natürlich
auch sich selbst gearbeitet.

Das Jahr 1514 kam und die schwarze Stunde,
wo das Leben der Mutter erlosch. Dürer zeichnete
auf: »Davon hab ich solchen Schmerzen gehabt, dass
ichs nit aussprechen kann.« Viele, die diesen Schmerz
kennen, wissen, wie er den Menschen geistig in
heftige Thätigkeit setzt. Dürer arbeitete die Melancholie.
Wir verstehen das Blatt nicht, wenn wir es auf
Grund des heutigen Begriffes Melancholie ansehen,
wie z. B. auch Goethe that, als er das Verslein
dichtete:

Zart Gedicht wie Regenbogen
Wird nur auf dunkeln Grund gezogen.
Drum behagt dem Dichtergenie
Das Element der Melancholie.

Für den Nürnberger von 1500 bedeutete Melan-
cholie in erster Linie Trauer1). Ein nürnbergisches
deutsch-italienisches Sprachbuch des 15. Jahrhunderts2)

aus, die er dem Tod aufsetzt, er giebt Tod, Ritter und
Teufel als König, Ritter und Landsknecht — auf dem
klapperbeinigen Sarge dahin, Amor aber, die Liebe, die
nicht aufhört, radelt als Sieger an der Spitze, und das
kranke Geträum vom Jenseits trottet als nebelhafter Schafs-
kopf hintennach.

1) Dann auch (Melecholei) Niedergeschlagenheit, Ab-
gespanntheit; doch war sich Dürer, wo er die lateinisch-
romanische Form gebraucht, der Grundbedeutung »trauern-
der Sinn« sicher bewusst.

2) Herausg. von Brenner, München i8g5.

verzeichnet nacheinander: die chlag lamento, chlagen
lamentare, die trawrung la melonchonia, trawrung
haben havere malonchonia, die tröstung la chonsolazion
u. s. w. — Es ist spät abends auf der Plattform eines
Kirchendachs. Rechts ragt der dunkle Turm, nur ein
kleines Stück sichtbar, noch weiter empor, die Leiter
hinauf ist angelehnt, aber warum noch höher steigen,
in den Himmel führt es ja doch nicht. Wage im
Gleichgewicht1), Uhr, magische Zahlentafel2) und Sterbe-
glöcklein sind am Turm angebracht. Zwei Engel
haben sich niedergelassen, ein grosser und ein kleiner,
wie Dürer auch sonst kleine, spielende Engel und
grosse, wie erwachsene Menschen denkende gegen-
überstellt, z. B. auf dem grossen Holzschnitt Ruhe
auf der Flucht nach Ägypten. Im ganzen ähnlich dem
dort ganz rechts knieend anbetenden grossen Engel
mit Flügeln, langem Haar und Krönlein ist der grosse
Engel auf der Melancholie gebildet. Die in englischem
Privatbesitz befindliche Federzeichnung von 1514, die
entweder Dürer's Schwägerin oder seine Frau darstellt,
ist eine erste Sitzkostümstudie dazu, wie Sitzhaltung,
Faltenlinien des Rockes, der grosse Schlüsselbund,
die breite Taille und der charakteristische, über die
Schultern führende Taillenrandstreifen zeigen. Doch
wurde für die Ausführung die linke Körperhälfte in
jene sinnende Stellung gebracht, die durch Walter's
von der Vogelweide Selbstbeobachtung klassisch ge-
worden ist: daruf sazt ich den ellenbogen, ich het
in mine hant gesmogen mein kinn und ein min
wange, do dacht ich mir vil ange u. s. w., das
Auge mehr aufwärts gerichtet, mit dem Blick in
innere Ferne, und alles gegenüber der Skizze un-
geahnt herrlich nach neuen Studien ausgeführt. Der
Kranz mit teils seitlich gebundnen, teils aufwärts
stehenden Zweiglein muss damals so getragen wor-
den sein, auch Schongauer krönt Engel mit genau
diesem Kranz. Die rechte Hand liegt auf einem
Buch und hält einen Zirkel: schon damals sah Dürer
seine theoretische Arbeit als seine Hauptthätigkeit
an;!), und der Genius seines geometrischen, wissen-
schaftlichen Denkens ist eben der grosse Engel. Des-
halb liegt allerlei Mess- und Schreinerwerkzeug hier
herum, daher die Kugel, dieses geometrische Unikum,
und daher der wundervoll gezeichnete, im primitiven
abwechselungsreichste Block eines oben und unten
durch einen Eckquerschnitt (Ortschnitt hat Dürer wohl
gesagt) ähnlich dem Ei des Columbus aufrecht stell-
bar gemachte grosse rhombische Hexaeder, der nächste

1) Altbayrisch hiess das Ebenwage, geheiligte Dinge,
z. B. geweihte Kerzen, nannte man Gottes Ebenwage; so
hier als Wunsch von der Seele der Mutter?

2) Schon andre haben gesehen, dass die Zahlen der
mittleren beiden Reihen dieser Tafel unten das Jahr (1514),
oben addiert den Monat (5, Mai) in der Mitte über das
Kreuz gelesen zweimal den Tag (17) des Todes der Mutter
angeben.

3) Eine Federzeichnung von ihm in der Königlichen
Bibliothek in Bamberg, die das Denkmal eines Sieges über
»mächtig Leut« zeigt, das er später wenig verändert zu-
sammen mit dem zeitgemässen Bauernkriegsdenkmal in der
»Unterweisung der Messung« veröffentlichte, ist datiert:
1513.
 
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