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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Wustmann, Rudolf: Als Dürer's Mutter starb
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0226

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429

Als Dürer's

Mutter starb

430

Verwandte des von Dürer einmal als schlechtest Corpus,
einfachster Körper, bezeichneten Würfels. Der kleine
Engel meint Dürer's künstlerische Thätigkeit, sie regt
sich unmittelbar in der tiefen Trauer wieder, während
die denkende Zirkel und Buch ruhen lässt, weil das
Denken über den Tod sie beschäftigt. Der kleine
Engel kritzelt auf einem Täfelchen (Tafel bayrisch -
Gemälde); dass er auf einem Mahlstein sitzt, ist, ver-
mute ich, damit zu erklären, dass auch der gebildete
Altbayer vielfach thatsächlich mahlen und malen
nicht unterschied1) (vielleicht die Vorstellung zu Hilfe
nehmend, dass die Farben gerieben werden?). Das
Engelköpfchen ist übrigens derselbe pausbäckige
Lockenkopf, den Knackfuss S. 138 aus einer eng-
lischen Privatsammlung wiedergiebt. Der treue Hund
liegt traurig - müde zusammengekauert da. Eine
Fledermaus flattert vorüber; dass gerade sie zur
Trägerin der Zettelinschrift gemacht worden ist, wird
nicht bloss daraus zu erklären sein, dass Fledermäuse
eben abends um Kirchtürme flattern, für Dürer war
wohl auch der volkstümliche Wortgebrauch Fleder-
maus = Steckbrief mit im Spiele. Und nun der
Landschaftsblick: Küste, an die Unendlichkeit er-
innerndes dunkles Meer, am Nachthimmel ein Regen-
bogen, ganz als letzte Ferne ein gewaltiges Licht, un-
zählige Strahlen in sich sammelnd. Zur Deutung des
Nachtregenbogens sei eine Luther'sehe Briefstelle zitiert,
1525 geschrieben, als Friedrich der Weise in Schloss
Lochau starb: »Das Zeichen seines Todes war ein
Regenbogen, den wir, Philippus und ich, sahen in
der Nacht über der Lochau.« So hier der Nacht-
regenbogen als Zeichen des Todes der Mutter; und
das grosse Licht als ältestes, einfachstes und erhabenstes
Symbol dessen, wohin sie eingegangen ist.

Auf dem Fledermausflügelbrieflein steht Melen-
colia L Dürer hatte also noch mehr Blätter der Trauer
in Absicht. Aber unmittelbar nach dem tiefsten Schmerz
erfuhr er eine Art Seligkeit, die die Welt überwunden
hat: so entstand das dritte dieser Blätter, der heilige
Hieronymus im Gehäuse. Wir werden uns des eigen-
tümlichen Charakters des Bildes vielleicht rascher be-
wusst, wenn wir es mit dem so gänzlich anders ge-
haltenen Stich von 1512 vergleichen: dem Hieronymus
mit dem Weidenbaum. 1512 kahle Felsenkluft, dürrer
Baum, Tümpel, ganz drunten weit ein winziges Stück
Menschenkultur (Dorf oder Stadtteil), hier oben ein
inbrünstiger alter Beter, ein Feuerkopf und kräftiger
Leib, der in festem Anschauen des Crucifixus, die
Hände zusammenlegend, Kraft erfleht für das Formu-
lieren der frommen Gedanken, die er sich anschickt
niederzuschreiben. Der von 1512 heischt Seligkeit
wie der verlorne Sohn von ca. 1500; der von 1514
hat sie wie der Antonius von 1519. Er ist im
Schreiben mitten drin, sitzt dabei im behaglichen
Hause mit den grossen Fenstern auf eine Strasse, auf
der die Kaufmannswagen rollen; warme Nürnberger
Junisonne strahlt herein. Ein grosser tiefer Friede
spricht aus dem Bilde; wir glauben die Feder kritzeln

1) Was auch oft heute noch nicht geschieht, s. Schmeller
unter malen.

zu hören, die die frommen Gedanken des in sich ver-
sunknen Alten aufs Papier bringt. Der spinnende
Löwe ist zwar das Konterfei des heruntergekommensten
Menagerielöwen, den man sich denken kann, steht
aber doch weit über dem Löwenversuch von 1512.
Mit Macht ist die Perspektive eingezogen und schliesst
das Ganze fest zusammen, obendrein sind unten, links
und oben Treppenstufen, Pfeiler und Zierbalken an
drei Seiten als rahmende Ränder hinzugefügt. So ist
dieser Kupferstich religiös wie künstlerisch das reifste
der drei grossen Blätter. Die Menge Symbolik, die
sich der ersten frommen Trauer ergab, ist auf ein
allerdings grosses Symbolum eingeschränkt worden:
den Flaschenkürbis an der Decke, zu dessen Deutung
uns wieder Megenberg verhilft. In seinem Abschnitt
über Kürbis heisst es am Ende: »Michael von Schott-
land sagt, der Kürbis öffne seine Blüten in der Nacht
und zeige seine Schönheit im Finstern. Am Tage
aber schliesse er seine Blüten wieder, die dabei welken,
bis sie zuletzt vertrocknen und abfallen. Ach und
wehe uns armen Sündern, die wir unsre Blüte und
Kraft in der Finsternis mit Bosheit verzehren, im Lichte
der guten Werke aber verschliessen und so verdorren
bis zu unserm Tode und Hinsterben! Ach und aber
ach und wehe mir armen Kürbis, wie lange hat mich
die Welt in ihre Finsternis hineingezogen und ver-
lockt mich immer noch weiter! Fahre hin, Falschheit,
fahre hin, Üppigkeit und böse Lust!« Der bei Dürer
feierlich aufgehängte Riesenkürbis ist eine ausgereifte
Idealfrucht, vergessen sind die Kämpfe seiner Blüten-
zeit, er ist das Gleichnis des Heiligen, der die Welt
überwunden hat.

Aus dieser abgeklärt verzückten Stimmung, dem
höchsten, was die Religion des christlichen Mittel-
alters zu bieten hatte, fand Dürer wieder den Weg in
das Leben der Gegenwart, so wie sich die schmerz-
liche Aufregung über den Tod seiner Mutter beruhigte.
Was ihm weiter half, waren namentlich der neu er-
wachende Farbensinn, das gesteigerte Interesse am
Porträt, das Denken auf typische Formung des Indivi-
duellen und die Reformation; alles Allegorisieren
glitt dabei von ihm ab, seine Darstellungen des Lebens
selbst wurden volle Lebenssymbole, und als er-
habenstes Zeugnis seines neuen reifen religiösen und
künstlerischen Innern entstanden schliesslich die
Apostel.

Die beiden herrlichen Gewänder des Paulus und
des Johannes sind die gewaltige Illustration zu dem
Anfang von Dürer's nicht ausgearbeiteter theoretischer
Skizze »Von Farben« (Londoner Handschrift): »Wenn
du malst 2 Röck oder Mäntel, ein weiss, den andern
roth. Und wenn du sie schättigest« u. s. w. Die
feste Fussstellung des Paulus und die peruginisch-
raffaelische des Johannes sind die Illustration zu einer
Stelle aus dem IV. Buch des Werkes »Von mensch-
licher Proportion«: »Zum Ernst muss man eine
grimme Stellung brauchen und zu der Lieb eine
freundliche.« Zum Verständnis der Köpfe und
Charaktere ist die wichtigste theoretische Stelle Dürer's
die aus dem Schluss des HI. Buches dieses Werkes:
»Also ist durch die Mass von aussen allerlei Ge-
 
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