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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Ein neues Madonnenrelief Donatello's?
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0234

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445

Parisei Brief

446

besingt, wie Menard einsam poetische Ruinen in
dunklen Silhouetten an den hellen Abendhimmel lehnt,
wie Guignard seine Schafherden im Mondenscheine
auf der Strasse hinziehen lässt, wie Le Sidaner die
beleuchteten Fenster eines am Flusse stehenden Hauses
im stillen Wasser widerspiegelt, wie Eliot mit fast
brutaler Kraft seine Landschaften in violetten Lichtern
leuchten lässt, wie Besnard die erstaunlichsten und
unerwartetsten Farbenzusammenklänge zu prächtigen
Harmonien zu gestalten weiss. Alle diese Leute sind
im Pastell genau oder beinahe die nämlichen wie in
der Ölmalerei, und es wäre Zeitverschwendung, sie
noch besonders als Pastellisten vorzustellen. Anders
steht es mit Leandre, den man nur als komischen
Zeichner kennt, der aber in seinen Pastellen wie in
den heuer gezeigten beiden idealen Frauenbildnissen
im Biedermeierkostüm einer der graziösesten und
delikatesten Koloristen der Gegenwart ist. Frangois
Thevenot verschmählt wie Leandre den Pinsel und die
Palette ganz und arbeitet nur mit dem Farbenstift.
Er liebt sanfte und vornehme, goldigbraune Har-
monien und ist besonders als Porträtist ein Künstler
ersten Ranges. Er versteht es ebenso, der Anmut
der weiblichen, wie der Kraft der männlichen Modelle
gerecht zu werden, und sein vorjähriges Bildnis
einer alten Dame im Kostüm des 18. Jahrhunderts
war ein ebenso grosses Meisterwerk wie sein dies-
jähriges Porträt eines modern gekleideten, auf einer
Waldlichtung ausruhenden jungen Mannes. Da die
Ausstellung der Pastellisten stets nur einige hundert-
undfünfzig Nummern umfasst, und da die Aussteller,
wie schon die oben genannten Namen beweisen, fast
ohne Ausnahme zu der Elite der modernen Pariser
Kunst gehören, so ist dieser Salon die angenehmste
und erfreulichste von all den vielen Kunstausstellungen,
die sich alljährlich in Paris aufthun.

Georg de Feure, einer jener zahlreichen aus-
ländischen Künstler, die wie der Norweger Thaulow,
der Finne Vallgren, der Italiener Boldini, der Öster-
reicher Mucha, die Amerikaner Alexander, Melchers,
Gay, Harrison u. s. w. dazu beitragen, dass Paris das
internationale Centrum der bildenden Kunst ist, hatte
bei Bing eine übersichtliche und sehr interessante
Ausstellung veranstaltet. Der belgische Künstler ist
dem weitern Publikum bei Gelegenheit der Welt-
ausstellung bekannt geworden, wo er einen Raum
in dem Bing'schen Pavillon ausgestattet hatte. Er ist
vor allem dekorativer Künstler und bewegt sich als
solcher auf allen erdenklichen Gebieten: er entwirft
Möbel und Toiletten, Tapeten und Vorhänge, kera-
mische Gegenstände und Silbergeschirr, Bucheinbände
und Schmucksachen. In allen diesen Fächern zeigt
er sich als überaus geschmackvoller Künstler, der
durch den feinen Schwung seiner Linien und durch
die zumeist sehr diskrete, mitunter aber in hellen
Fanfarentönen erklingende Harmonie seiner Farben
den Beschauer entzückt und fesselt. In seiner
Ausstellung bei Bing zeigte er sich besonders als
Maler mit fünf Ölgemälden und einigen hundert
Aquarellen, Pastellen, Zeichnungen und Lithographien.
Überall betont er seine dekorative Begabung: Pflanzen,

Tiere und Menschen werden bei ihm alle zu einer
ornamentalen Formel, bestimmt, im Rhythmus der
Linien und Farben mitzuklingen. Diese eigentlich
leere Kunst wird durch seinen überaus feinen Ge-
schmack und seinen ganz hervorragenden dekorativen
Sinn von de Feure zur höchsten Höhe erhoben, und
ohne Zweifel muss man dem Künstler unter den
Meistern der modernen dekorativen Kunst eine der
ersten Stellen anweisen. Es wäre deshalb sehr zu
wünschen, dass er durch einen grösseren Auftrag Ge-
legenheit erhielte, seine Begabung bei der Aus-
schmückung eines grossen Raumes darzuthun.

Der Ring Pariser Kunsthändler, welchem die
impressionistische Schule erb- und eigentümlich zu-
gehört, scheint den gegenwärtigen Moment für günstig
zum Losschlagen zu halten. In der That dürften die
durch fiktive Verkäufe und sonstige Geschäftskniffe
bis zu schwindelnder Höhe hinaufgetriebenen Preise
der impressionistischen Bilder schon sehr bald den
Krebsgang antreten. Gegenwärtig sind sie an der
Mode, und deshalb werden für sie höhere Preise
gezahlt als für die Leute von Barbizon. Aber in
einigen Jahren werden die Dinge wieder in ein ver-
nünftiges Verhältnis kommen, und ich fürchte um so
mehr für die Impressionisten, als sie mehr als andere
von den Veränderungen der Farben zu leiden haben
werden. Da sie alle Zeichnung verschmähen und
ausschliesslich mit den farbigen Reflexen des Lichtes
arbeiten, wird von ihren Bildern nicht mehr viel
übrig sein, wenn diese Farben sich im Laufe der
Jahre — und bei den modernen Farben geht das
sehr schnell — verdunkelt oder sonst geändert haben.
Man kann das jetzt schon bei Manet sehen, dessen
Bilder in den dreissig oder vierzig Jahren alle Farben-
frische und Klarheit, um derentwillen sie von den
Zeitgenossen ihres Entstehens gelobt wurden, ein-
gebüsst haben, so dass jetzt nur noch ganz schwarze
Schatten neben ganz weissen und zwar nicht leuch-
tenden, sondern matten und trüben Lichtern stehen.
Und dabei war Manet als erster Impressionist neuen
Stiles noch bei weitem kein so entschiedener Ver-
ächter der Zeichnung wie seine heutigen Enkel, und
bei manchen seiner Bilder, wie z. B. bei der be-
kannten Olympia im Luxembourg, fallen die harten
Umrisslinien der Zeichnung sogar sehr unange-
nehm auf.

Jedenfalls glaube ich, dass für den Besitzer von
impressionistischen Bildern, der sie, wie das leider
allgemeiner Nebenzweck der Sammler ist, mit dem
Hintergedanken eines späteren vorteilhaften Verkaufes
angeschafft hat, der Augenblick des Losschlagens ge-
kommen ist. Höher werden die Preise nicht mehr
steigen. Dieser Ansicht scheinen auch die Pariser
Händler zu sein: nachdem vor vier Monaten Georges
Petit hundert Bilder von Lepine, Jongkind, Boudin
und Sisley vereinigt und ausgestellt hatte, zeigte dann
Bernheim fünfzig Impressionisten von Manet bis auf
Cezanne, und auch auf andern Bildermärkten: in Eng-
land, Deutschland und Amerika öffnen sich jetzt die
Schleusen und die in den letzten zwanzig Jahren in
den Magazinen des »Ringes« aufgespeicherten im-
 
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