Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0252

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
481

Bücherschau

482

Nieuwenhoven aus dem Johannisspital (Tafel 34) einnimmt.
Dass der in einigen Momenten dramatisch bewegte, in der
Formengebung aber gemein spiessbürgerljche Maler, der
wohl etwas früher als Memling die Ursulalegende in einer
jetzt bei den Schwarzen Schwestern in Brügge bewahrten
Bilderfolge darstellte, in einer doch nicht ausschliesslich
für Kunsthistoriker bestimmten Veröffentlichung mit vier
Tafeln bedacht wurde, war vielleicht nicht unbedingt nötig.
Dagegen vermisse ich ungern bei Qerard David das für
das Können und Nichtkönnen des nach so mancher Hin-
sicht die Entwickelung abschliessenden Meisters so äusserst
bezeichnende zweite Brügger Rathausbild mit der Strafe
des Sisamnes: das hübsche Wort Weale's »the flaying of
a man is by no means a pleasant thing to Iook at« durfte
hier nicht Wahlspruch werden. Die mit ihren militärisch
aufgereihten Engelregimenten unrettbar langweilig wirkende
Krönung der Maria von Albert Cornelis, die schon von
ihren Bestellern nur unter Widerspruch angenommen wurde
(Tafel 56), hätte fortbleiben können, nicht fehlen aber
durfte ein so wichtiges Stück wie das von Mabuse zur
Frühzeit des »Bles« hinüberleitende, in der Feinheit der
Ausführung gleich neben dem berühmten Malvagna-Altärchen
in Palermo stehende kleine Dreiblatt mit der Anbetung
der Könige aus dem Besitz von Sir Fr. Cook: besonders
in der Nebenscene der Ausgiessung des heiligen Geistes
zeigt das kleine Werk eine in dieser Zeit wohl einzige
Heftigkeit der Bewegung. In der Reihe der holländischen
Bilder endlich hätte ich gerne noch die in der dramatischen
Hingegebenheit der Darstellung wie in der hellen auf
Rot gestimmten Haltung ausserordentliche Beweinung
Christi der Sammlung Martin Le Roy in Paris und viel-
leicht, da doch Engelbrechtsz und Lukas van Leyden gezeigt
wurden, auch eines der drei in Brügge ausgestellten Werke
des Jakob Cornelisz erblickt.

Die 35 Textseiten eines Autors, den man wohl als
den am weitesten vorausgelaufenen zum mindesten unter
den jüngeren Spürern altniederländischer Kunst bezeichnen
kann, stellen, wie zu erwarten war, eine reiche Quelle
teils gebieterischer, teils freundlich eingehender Belehrungen,
aber auch oft ein Kampffeld für streitende Erörterung dar.
Die Forschungen der Fachgenossen sind mit gebührender
Nennung der Namen und der Stelle der Veröffentlichung
angezeigt; auch der auf weit beschränkterem Gebiete an-
gestellten Bemühungen des Referenten ist bei Gelegenheit
von Cornelis Engelbrechtsz gedacht worden. Aus Hinter-
gründen fällt oft blitzartiges Licht auf Kunstwerke, die in
der Ausstellung nicht zu sehen waren. Schade ist es,
dass der freilich sehr viel beschäftigte Verfasser nur katalog-
artig eine Anzahl von Bemerkungen zu jeder der einzelnen
Tafeln bietet und nicht die Ruhe gefunden hat, in zu-
sammenhängender Darstellung die geistigen Werte der
zur Anschauung gebrachten Dinge in Worte zu fassen.
Welche Fähigkeiten ihm auch hierfür zu Gebote stehen,
dafür seien Beispiele die Bezeichnung der überreichen
Porträtstudie des Massys aus der Sammlung von Mad.
Andre: »ein frecher und sinnlicher Kopf von monumentalem
Schnitt«, die schlagend einfache Charakteristik der Land-
schaften Patinir's als »etwas geographisch aufgefasst«, der
Satz über die Kreuztragung von Bosch im Genter Museum
»Ein Kranz geifernder verzerrter Verbrecherköpfe ist um
das HauptChristi geschlungen, Gebilde eines beängstigenden
Traumes«, und die schönen Worte über den älteren Brueghel.

Auch in dem äusserst zusammengedrängten, soeben
bei Georg Reimer in Berlin erschienenen Hefte (Abdruck
aus dem März- und dem Maiheft des Repertoriums für
Kunstwissenschaft), wo Friedländer jedem einzelnen, selbst
noch dem allergeringsten der in Brügge ausgestellt ge-
wesenen Bilder mindestens ein richtendes Wort hin-

wirft, finden sich Sätze von gutem, scharf geprägtem Metall.
So wenn über Patinir gesagt wird (S. 37): »Seine Falten-
linien sind stets sachlich und prosaisch, verglichen mit
den melodiösen Schwingungen, mit denen Metsys fast be-
rauschende Wirkung erreicht«. Ferner die von warmem
Gefühl getragene Kennzeichnung jenes grossen Franzosen,
der, sicher von Hugo van der Goes angeregt, die hell
leuchtende Marienglorie von Moulins geschaffen hat (S. 53),
die Schilderung den freundlichen und dabei künstlich auf-
geregten Art des Provinzmalers Jean Bellegambe (S. 46).
Klar und sicher unterrichtet auch der Abschnitt, wo die
Nebelschleier über der Gestalt des Herri met de Bles mit
scharfer Energie zerschnitten werden, freilich mit dem
pessimistisch stimmenden Ergebnis, dass hinter dem Vor-
hang nicht mehr viel zu sehen bleibt (S. 39 u. 40). An
vielen Strecken werden wir leider im Eilzugstempo durch
einen Wald von Bildern geführt, die bald vor dem geistigen
Auge einen wirren Tanz aufzuführen beginnen — doch
eine Art »danse macabre«. Eine eingehende Erörterung
der Gründe und Gegengründe für eine abgelehnte Be-
stimmung wird unterlassen (S. 4, die Petrus Christus zu-
geschriebene Beweinung Christi in Brüssel), ein Wissen
angedeutet, aber nicht ausgebreitet und so der später
kommende Forscher beunruhigt, ohne dass die Wissen-
schaft um genaue Daten bereichert würde (S. 15, bei Ge-
legenheit des Antwerpener »van der Meire«: »Sonst kenne
ich noch mehr als zehn Bilder von seiner Hand«, S. 26,
der Meister der Antwerpener Deipara Virgo »der in
Segovia, im Prado und sonst vielfach vertreten ist«), Stücke,
die im Kunsthandel fluktuieren oder längst aus ihm »un-
bekannt wohin« verschwunden sind (S. 27 oben, S. 20
oben) werden undeutlich zitiert; bis nach Columbia (das
in Nord- oder das in Südamerika?) reichen die Fernrohre
(S. 36 oben). Ein wenig ergreift mich die Angst, die
letzten Unterschiede, die zwischen der Betrachtung von
Kunstwerken und einem Hürdenrennen noch bestehen,
könnten schwinden.

Jedenfalls wird Friedländer's Schrift neben dem mit
der Kühnheit römischer Aquädukte zwischen Historie,
Heraldik, Archivforschung und Bilderkenntnis die Brücken
schlagenden »Catalogue critique« des jetzt hinter der
Maske eines Georges H. de Loo hervortretenden Genter
Professors G. Hulin (eine erweiterte Neuauflage dieser
wichtigsten belgischen Kunstpublikation der letzten Jahre
ist in Aussicht gestellt!) auf lange Zeit hin von jedem,
der über altniederländische Bilder sprechen will, zu Rate
gezogen werden müssen. Mir, dem schon an Jahren, vor
allem aber nach dem Datum des Eintrittes in die Arbeit
des Sichtens und Ordnens alter Kunstwerke, um so viel
jüngeren ziemt es nicht, hier die Punkte sämtlich namhaft
zu machen, in denen ich nach der bisher mir gewordenen
Erkenntnis anders sehe und werte. Den Lesern der »Zeit-
schrift für bildende Kunst« hoffe ich aber noch in zwei
Aufsätzen sagen zu können, was ich in jenen allzu kurzen
Brügger Tagen mit den dort versammelten holländischen
und mit den südniederländischen Gemälden von der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebte.

Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Bruck-
mann'sche Verlag, unabhängig von dem grossen und nicht
für jeden erschwinglichen Prachtwerke nicht weniger als
198 seiner bekannten Pigmentdrucke nach den in Brügge
ausgestellten Bildern hat anfertigen können und sie zu
dem ebenfalls bekannten, verdienstlich billigen Preise von
1 Mark das Stück in den Handel bringt. Etwas unver-
mittelter im Absetzen der Lichter und Schatten als die
zumal im Ton ausserordentlich zarten Tafeln des Buches,
wirken sie doch wie eine Wohlthat inmitten des Photo-
graphienmaterials, mit dem der Freund gerade des hiei
 
Annotationen