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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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515

Bücherschau

516

jähr Wilhelm's VIII., stand die Kasseler Gemäldesammlung
nicht wesentlich zurück hinter der wenig älteren Dresdner
Galerie, freilich nur im Hinblick auf niederländische Kunst.
Die sächsischen Sammlungen waren eher universell. Man
darf nicht vergessen, dass 1806 48 Gemälde, darunter
Hauptwerke von Rembrandt und Potter, der hessischen
Stadt genommen und nach Malmaison gebracht worden
sind. Diese Bilder halfen später wesentlich, die Galerie
von St. Petersburg zur ersten Sammlung holländischer
Kunst zu machen. Im 18. Jahrhundert war Rembrandt in
Kassel glänzender als irgendwo vertreten. In diesem Jahr-
hundert hat Rembrandt wohl nicht viele so eifrige und
thatkräftige Bewunderer gehabt, wie den hessischen Fürsten,
der das wahrhaft Grosse in der holländischen Malerei
merkwürdig sicher herausgriff. Allerdings fehlen Hobbema,
Cuyp und van de Capelle in der Sammlung, jene Meister,
die von den Engländern entdeckt wurden, fehlen auch die
grossen Koloristen Pieter de Hooch, der Delftsche Vermeer
und Kalf; Ruisdael ist nicht glücklich repräsentiert. Rem-
brandt aber und Frans Hals haben in dieser Galerie die-
jenige Stellung, die ihnen in der geschichtlichen Gruppierung
erst das Urteil der letzten Jahrzehnte eingeräumt hat.

Alles wesentliche der herrlichen Sammlung wird in
der Erinnerung kräftig belebt beim Durchblättern des
schönen Bandes. Wir möchten kaum eines der abgebildeten
Werke entbehren und wenige Stücke werden vermisst.

Diese Anzeige mit kritischen Bemerkungen zu würzen,
bietet sich kaum Gelegenheit. Abgesehen davon, dass es
etwas gewagt wäre, dem Direktor der Kasseler Galerie, der
seine Pflegekinder besser als irgend jemand kennt, zu wider-
sprechen: die abgebildeten Werke sind fast sämtlich
charaktervolle Schöpfungen bekannter Meister. Eine Frag-
würdigkeit will ich herausheben. Das herrliche Bildnis
Wilhelm's von Oranien heisst jetzt »A. T. Key«, nachdem
es »Pourbus«, »Floris« und »Moro« genannt worden ist.
Mir scheint der grösste unter diesen Namen, der Moro's
ist am ehesten der richtige. m. /. f.

Karl Justi, Winckelmann. 2. Auflage. Leipzig 1898. F. C.
W. Vogel.

G. v. Graevenitz, Deutsche in Rom. Studien und Skizzen
aus elf Jahrhunderten. Leipzig 1902. E. A. Seemann.

Ein klassisches Buch über einen glänzenden Abschnitt
deutschen Geisteslebens in Rom hat kürzlich seine zweite
Auflage erlebt mit der Klanglosigkeit, die das gebildete
Deutschland herkömmlicherweise seinen klassischen Büchern
entgegenbringt: Karl Justi's Winckelmann. Alle kleinen
Unregelmässigkeiten und Trübungen des ersten Gusses,
Folgen sowohl eines jugendlichen Ungestüms wie einer von
den Verhältnissen oft bedrängten Produktion, hat die be-
dächtige Hand des gealterten Meisters ausgeglichen und
geklärt. Die überlegene Ironie eines von Kultur jeder Art
gesättigten Geistes und eine altmodisch umfängliche Be-
lesenheit haben dem Werk eine kunstvolle Patina verliehen,
die sein Edelmetall mit blitzenden Lichtern und ebenmässig
schönen Dunkelheiten zu herrlicher Wirkung bringt.

Und doch — der Eindruck des Ganzen ist nicht der
einer zu grossen Umrissen gesammelten Statue mit einem
Postament, auf dem Reliefs die unruhvolle Mitwelt des
Helden darstellen. Vielmehr erinnert das Buch an eine
jener mit Staffage belebten Veduten des 18. Jahrhunderts,
auf denen vor reich aufgebautem architektonischen Hinter-
grund ein Durcheinander geistlicher Herren, nachdenklicher
Antiquare, neugieriger Reisender und-harmlos geschäftigen
Volkes sich entwickelt. Eine strenge Komposition fehlt
diesen drei Bänden, musste fehlen, weil der Held wohl
als der Ausdruck der kunstgelehrten Bemühungen seiner
Zeit dasteht, nicht aber als der Repräsentant einer künst-

lerischen Kultur, die für seine Zeit die massgebende oder
ein Ziel uneingeslandener Sehnsucht war. In der künst-
lerischen Rundung des Details, der Episoden sucht das
Werk seinesgleichen. Es entfaltet sich wie ein geistiges
Panorama des 18. Jahrhunderts, zu dessen ästhetischer
Reife das Sehnen aller modernen Bildung zurückschweift. —

Man fragt sich, wie ein Kulturgemälde von so hoher
Vollendung dasein konnte, ohne einen Schriftsteller zu
locken, das Leben der Deutschen in Rom durch die ver-
schiedenen Jahrhunderte überhaupt zu verfolgen, darzu-
stellen, wie dieser gewaltige Magnet über die himmelhohen
Berge hinweg mit Zauberzwang die Geister an sich zog.
Ein solcher Schriftsteller hätte mit dem mannigfaltigsten
Rüstzeug an seine Aufgabe gehen müssen: mit dem auf
die grossen Perspektiven eingestellten Blick des Kultur-
historikers, mit dem Scharfsinn des rekonstruierenden
Archäologen, mit den empfindlichen Organen des Kunst-
liebhabers, mit dem selbstlosen Sammeleifer des Archiv-
und Bücherwurmes, mit der Gestaltungskraft des Dichters,
mit der farbenstrotzenden Palette des Malers, mit den
Kulissenkünsten des Regisseurs — eine Armee von Fähig-
keiten hätte eben genügt, ein solches Werk langsam zu
stände zu bringen.

Man stelle sich vor: eine Wandeldekoration: immer
Rom und immer ein anderes. Das mittelalterliche, wohin
die deutschen Kaiser zur Krönung ziehen, mit dem leuch-
tenden Mosaikschmuck seiner Kirchenfassaden, das Rom der
Renaissance, das Luther beim Einzug demutsvoll begrüsst
und von dem er bitter-zornigen Abschied nimmt, das Rom,
das wir noch heute sehen, das Sixtus V. weit und geräumig
ausbaut, das Bernini in den schweren Prunk des Barocks
kleidet, in dessen Museen Winckelmann die strenge Schön-
heit antiker Kunst zuerst erfassen lernt, in dessen Gärten
Goethe dichtet: »Gestalten gross, gross die Erinnerungen«.
Und das alles unter dem wandernden Licht des geschicht-
lichen Werdens und Vergehens, von dem Frührot, das auf
den Waffen der Karolinger blitzt, bis zu dem Mondlicht,
das durch die Bogenhallen des Kolosseums webt. Und
als Schlussstück des Ganzen draussen zwischen »Cestius'Mal«
und dem Scherbenhügel die Wacht schwarzer Cypressen,
wo die Deutschen beisammen ruhen: Carstens, Goethe's
Sohn, Waiblinger und die vielen, deren Name nur noch
auf ihrem Grabstein lebt.

So hohen Anforderungen wird das Buch von Graevenitz
schon deswegen nicht gerecht, weil der Verfasser selbst
sie sich nicht gestellt hat. Vor der Überfülle des Stoffes
hat er bestürzt Halt gemacht und sich beschieden; das
19. Jahrhundert wird ausgeschaltet und das übrige in
Studien und Skizzen locker zusammengefasst. Der »den-
kende deutsche Romfahrer« — das Wort hat im Laufe der
Zeit einen fatalen Klang bekommen — soll befähigt
werden, »mit den erforderlichen allgemeinen geschichtlichen,
kultur-, kirchen- und kunstgeschichtlichen Kenntnissen an
die Stätten heranzutreten, auf denen sich die Geschichte
des Deutschtums in Rom abgespielt hat.« In diesem
»denkenden deutschen Romfahrer« wird sich der Verfasser
nicht getäuscht haben und so kann er dessen Beifall sicher
sein. Bei seinem Unternehmen unterstützte ihn die Ver-
lagshandlung mit guten Reproduktionen, die geschickt ge-
wählt sind.

Wer indessen den denkenden Romfahrer in sich
überwunden und an seine Stelle den höher stehenden
schauend geniessenden Kunstliebhaber gesetzt hat, wird
sich nach einem feinsinnigeren Cicerone umsehen müssen,
als v. Graevenitz ihm sein kann. Denn vor einem Kunst-
werk verspürt der Verfasser selbst nur die historische
Resonnanz; das Sehen und Empfinden ist seine Sache nicht.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Carlo Saraceni's Meister-
 
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