Kunstgewcrbeblatt. 4. Iahrgang.
No. r.
Das ungarische Drabteinail.
Von L. Radisics von Rutas.
tNit Abbildnngen.
Dem ungarischen Drahtemail hat die
cinschlcigige Fachlitteratnr des Auslandes bis-
her wenig Aufmerksamkeit geschcnkt; gern er-
greifen wir daher die sich bietende Gelegenheit,
um auf Grnnd eincr gediegenen Arbeit') den
Gegenstand auch an dieser Stelle zu erörtern.
Wir thun dies um so lieber, als die dem er-
wähnten Artikel entlehnten Jllustrationen Mo-
tive veranschaulichen, welche mit zu den besten
Schöpfungen des Mittelalters gehören nnd ge-
wiß nicht ohne Nutzen studirt werden dürften.
Die erste Frage, die sich nns aufdrängt
und mit der sich auch Ur. Hampel gleich am
Eingang beschäftigt, ist die: in was besteht
cigentlich das Drahtemail genannte Verfahren,
welche sind dessen charakteristische Eigenschaften,
die es von den übrigen bckannten Emailgattnngen
unterscheiden?
Die Bcantwortung scheint ans dcn ersten
Blick keine leichte zu sein. Selbst dem Ver-
Wsser mag sie einige Schwierigkeit bereitet haben,
er zur Kennzeichnung des Trahtemails in-
direkte Wege einschlägt nnd crst mit Hilfe von
Vergleichen die zwei Haupteigentümlichkeiten
desselben bestimmt. Es sind dies nach seiner
W'sicht zwei Momente: das technische, wel-
ches stch Verwendung des Drahtcs
geltend macht, indem derselbe die Nolle der
^ontnr nnd zugleich der Zeichnung spielt; das
^ilistischx Moment, welchcs bedingt, daß das
^mail größere Flächcn bcdcckcnd als färbendes
^iement dominirend austritt.
Uns schcint diese Bcstimmnng zur richtigen
^rkenntnis des Drahtemails kaum befriedigend;
l) vr. Jos. Hampel: Ein Abschnitt ungarischer
^unstgeschjchte (Ungarischc Rcvue VIII, 1888, Heft 1.)
^such alS Sonderabdruck u. d. T.: Das mittelalter-
Drahtemail. Budapest, Fr. Kilian, 1888. gr. 8.
Kunftgewcrbcblau IV.
sie streift das Wesen, ohne es klar ausgesprochen
zu haben. Die Ursache liegt wohl in der
äußeren Erscheinung dieser Verzierungsweise
und in dem eigentümlichen Eindruck, den sie
selbst auf den geübtesten Beschauer macht.
Wenn wir die bisher erschienenen Arbeiten
von Bocks Artikel angefangen überlesen, finden
wir, daß keiner der Autvren sich bei Betrachtung
des nngarischen Drahtemails vom Begriff des
Zellenschmelzes gänzlich losmachen konnte; der
Ausgangspunkt war immer des Cloisonno, und
jeder bemühte sich, dasselbe mit dem Draht-
email in Zusammenhang zu bringen. Aller-
dings scheinen diese beiden Techniken gemeinsame
Züge zu habcn, allcin nur bei oberflächlicher
Betrachtung. So kam es, daß man sich ver-
gebens fragte, wieso das uralte byzantinische
Verfahren, nachdem es längst erloschen, in
Ungarn ein zweites Mal, wenn auch in ver-
änderter Form, erblühen konnte. Man forschte
nach Anhaltspunkten zur Erklärung des Pro-
zesses, und immer wieder stand man natürlich
wie vor einem Rätsel, das zu ergründen un-
möglich schien. Selbst das Filigran, mit welchem
das Drahtemail in Verbindnng gebracht wurde,
war nur ein Hindernis und beirrte die richtige
Beurteilung desselben.
Hampels großes Verdienst ist es, mit diesen
beiden Theorien gebrochen, dem Drahtemail
jede Gemeinschaft mit dem byzantinischen
Cloisonnö abgesprochen und gleichzeitig auf
die Unmöglichkeit hingewiesen zu haben, daß das
Filigran als solches bei der Bildung des Draht-
emails mitgewirkt hätte, sowie den Ursprnng der
Ornamente mit scharfem Blick richtig erkannt
zu haben. Anderseits teilen wir aber nicht
die Ansicht, daß das Drahtemail eine selbstän-
dige Erfindung ungarischer Goldschmiede des
18
No. r.
Das ungarische Drabteinail.
Von L. Radisics von Rutas.
tNit Abbildnngen.
Dem ungarischen Drahtemail hat die
cinschlcigige Fachlitteratnr des Auslandes bis-
her wenig Aufmerksamkeit geschcnkt; gern er-
greifen wir daher die sich bietende Gelegenheit,
um auf Grnnd eincr gediegenen Arbeit') den
Gegenstand auch an dieser Stelle zu erörtern.
Wir thun dies um so lieber, als die dem er-
wähnten Artikel entlehnten Jllustrationen Mo-
tive veranschaulichen, welche mit zu den besten
Schöpfungen des Mittelalters gehören nnd ge-
wiß nicht ohne Nutzen studirt werden dürften.
Die erste Frage, die sich nns aufdrängt
und mit der sich auch Ur. Hampel gleich am
Eingang beschäftigt, ist die: in was besteht
cigentlich das Drahtemail genannte Verfahren,
welche sind dessen charakteristische Eigenschaften,
die es von den übrigen bckannten Emailgattnngen
unterscheiden?
Die Bcantwortung scheint ans dcn ersten
Blick keine leichte zu sein. Selbst dem Ver-
Wsser mag sie einige Schwierigkeit bereitet haben,
er zur Kennzeichnung des Trahtemails in-
direkte Wege einschlägt nnd crst mit Hilfe von
Vergleichen die zwei Haupteigentümlichkeiten
desselben bestimmt. Es sind dies nach seiner
W'sicht zwei Momente: das technische, wel-
ches stch Verwendung des Drahtcs
geltend macht, indem derselbe die Nolle der
^ontnr nnd zugleich der Zeichnung spielt; das
^ilistischx Moment, welchcs bedingt, daß das
^mail größere Flächcn bcdcckcnd als färbendes
^iement dominirend austritt.
Uns schcint diese Bcstimmnng zur richtigen
^rkenntnis des Drahtemails kaum befriedigend;
l) vr. Jos. Hampel: Ein Abschnitt ungarischer
^unstgeschjchte (Ungarischc Rcvue VIII, 1888, Heft 1.)
^such alS Sonderabdruck u. d. T.: Das mittelalter-
Drahtemail. Budapest, Fr. Kilian, 1888. gr. 8.
Kunftgewcrbcblau IV.
sie streift das Wesen, ohne es klar ausgesprochen
zu haben. Die Ursache liegt wohl in der
äußeren Erscheinung dieser Verzierungsweise
und in dem eigentümlichen Eindruck, den sie
selbst auf den geübtesten Beschauer macht.
Wenn wir die bisher erschienenen Arbeiten
von Bocks Artikel angefangen überlesen, finden
wir, daß keiner der Autvren sich bei Betrachtung
des nngarischen Drahtemails vom Begriff des
Zellenschmelzes gänzlich losmachen konnte; der
Ausgangspunkt war immer des Cloisonno, und
jeder bemühte sich, dasselbe mit dem Draht-
email in Zusammenhang zu bringen. Aller-
dings scheinen diese beiden Techniken gemeinsame
Züge zu habcn, allcin nur bei oberflächlicher
Betrachtung. So kam es, daß man sich ver-
gebens fragte, wieso das uralte byzantinische
Verfahren, nachdem es längst erloschen, in
Ungarn ein zweites Mal, wenn auch in ver-
änderter Form, erblühen konnte. Man forschte
nach Anhaltspunkten zur Erklärung des Pro-
zesses, und immer wieder stand man natürlich
wie vor einem Rätsel, das zu ergründen un-
möglich schien. Selbst das Filigran, mit welchem
das Drahtemail in Verbindnng gebracht wurde,
war nur ein Hindernis und beirrte die richtige
Beurteilung desselben.
Hampels großes Verdienst ist es, mit diesen
beiden Theorien gebrochen, dem Drahtemail
jede Gemeinschaft mit dem byzantinischen
Cloisonnö abgesprochen und gleichzeitig auf
die Unmöglichkeit hingewiesen zu haben, daß das
Filigran als solches bei der Bildung des Draht-
emails mitgewirkt hätte, sowie den Ursprnng der
Ornamente mit scharfem Blick richtig erkannt
zu haben. Anderseits teilen wir aber nicht
die Ansicht, daß das Drahtemail eine selbstän-
dige Erfindung ungarischer Goldschmiede des
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