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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 4.1888

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Schneider, Friedrich: Ein modernes Kunstgebilde und seine Geschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.4161#0014

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Lin modernes Kimstgebilde und seine Geschichte.

Von Friedrich Schneider.
lNit Abbildung.

Unzahlige alte Kunstiverke verkünden durch
Jnschriften, Wappen oder sonstige Angaben, daß
sie aus edlen, zumeist religiösen Absichten ihrer
Stifter hervorgegangen sind. Nicht ohne Be-
wegung sehen wir darin nach Jahrhunderten
Namen fortleben, die sonst längst vergessen
wären. Jede Einzelheit, die zur Geschichte
cines Kunstwerks bewahrt wird, umkleidet das-
selbe mit einem eigenen Reiz; sie läßt den Be-
sitzer oder Stister, wie auch den Urheber darin
svrtleben und verknnpft so die Teilnahme Spät-
geborener mit längst vergangenen Tagen. Aber
es bedarf nicht erst entschwundener Zeiten und
längst verschollener Namen, um die Entstehung
kunstreicher Erzeugnisse anziehend und lehrreich
zu machen. Ein Beispiel hierfür liefert eine
Schirmwand, die in der jüngsten Zeit ent-
standen ist. Das Bild derselben, wie unvoll-
kommen es auch das farbenprächtige Stück wie-
dcrgebcn mag, lcgt zunächst sür sich selbst das
Zeugnis ab, daß es sich in der That um ein
Kunstwerk handelt. Von der Hand eines
Meisters auf dem Gebiete der dekorativen
Knnst, Hcrrn Karl Behr, künstlerischem Leiler
in dem Hause A. Bembe in Mainz entworfen,
Zeigt das Rahmenwerk wie die Behandlung
der Flächenverzierung die ganze Prachtent-
faltung jener Geschmacksrichtung, welche um
die Mitte des 18. Jahrhunderts in der Knnst
der vornehmen Kreise herrschte. Näher noch
sind es die Formen dcr rheinischen nnd bayeri-
schen Fürstensitze, welche sür das Gerüst maß-
gebend waren, während sür die Stickerei präch-
iige Gewandungen ans dem Mainzer Dom als
Borbilder dienten. Unter der belebenden Ein-
wirkung alter Kunstwerke dieser Richtung schoß,
Wie eine neue üppige Saat, der Entwurf auf.
Stil nnd freie Gestaltung reichen sich darin

die Hand. Das Rahmenwerk ist in den Bem-
bs'schen Knnstwcrkstätten in Lindenholz mcistcr-
lich geschnitten und dann vergoldet worden.
Die Höhe beträgt im Ganzen 1,60 m. Die
beiden Seitenteile sind natürlich beweglich
eingerichtet.

Und nun die Stickerei, wird man fragen.
Jn der Fläche ist zunächst ein Wechsel von
weißem Brokat nnd gespannteni Silbergrunde
angenommen. Um den Webestosf mit der Sticke-
rei zusammenzuführen, ward die Zeichnung des
Brokats mit seinen Goldfäden ausgenäht; der
Silbergrund seinerseits hat zur Belebung nnch
den prächtigen alten Vorbildern eine ähren-
förmige (vder Fischgräten-) Musterung erhalten.
Jm Mittelteil legt sich der Brokat nnr uni
den großen geschlossenen Blütenstrauß, während
er an den Flügeln die äußeren Teile bildet:
der Silbergrund verbreitet sich somit in un-
gleicher Weise über das Mittel- und die
Seitenteile. Die in üppiger Fiille übcr die
Fläche ausgestreuten Blüten werden von
goldgesticktem Rahmen- nnd Bandwerk teils
zusammengefaßt, teils ranken sie sich um sich
kreuzende Bänder. Das Bandwerk ist wellen-
förmig behandelt; die äußeren Bandstreifen
dagegen sind von schräggeordneten Blättern
übersangen. Jn glänzender Wirknng treten an
dem Mittelstück leichte Ranken, die aus flacher,
abgesaßter Unterlage mit gespannten Goldsäden
hergestellt sind, vor der verschieden behandelten
Bortenstickerei hervor. Diese fest umgrenzen-
den und führenden Linien, welche in ganz ähn-
licher Weise in den alten Vorbildern verwendct
sind, verleihen dem srei behandelten Blumen-
schmnck entsprechende Festigkeit; zugleich liegt
in dieser Bindung der Zusammenhang mit dem
Rahmenwerk: eins wächst mit dem andere»
 
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