Von H. E. v. Berlepsch.
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als niemals früchtetragendes Reis aufzupfropfen,
statt sie mit viel näher Liegendem, leichter Ver-
ständlichem bekannt zu machen, das sie nicht
nötigt, innerhalb eines Jahrzehnts den Stil zu
wechseln, wie man allenfalls einen anderen Rock
anzieht. Der Mangel an selbständigem Studium
der Natur oder an der Hervorrufung desselben ist
es, der unserer Zeit den vollendeten Stempel der
charakterlosen Jmitation giebt, die natürlich nach
allem begierig greift, was noch benutzbar, bis
zur Stunde von keinem anderen reproduzirt
worden ist.
Eines der interessantesten Beispiele von
gotischer Holzdekoration aus Tirol dürste wohl
ein zu Niederndorf im Pusterthale befindliches
Haus besitzen. Es enthält zwei Zimmer, wo-
von das eine Wandvertäfelung und Decke, das
andere nurmehr den mit einer dicken Kalkkruste
überzogenen Plafond hat. Dort finden sich For-
men allen möglichen Ursprunges nebeneinander,
die man sicherlich ganz verschiedenen Zeiten zu-
schreiben würde, sähe man sie nicht als Ganzes
bereinigt, was doch unbedingt auf ihre gleich-
zeitige Eutstehung hinweist. Die Balken der
Decke zeigen das ganz einfache Bandmuster
(Ng. 5), daneben Kerbarbeiten rein geometri-
schen Charakters, freie ornamentale Benutzung
begetabilischer Formen (Fig. 6), dann wieder
Reminiscenzen an klassische — vielleicht an Re-
naissanceornamente (Fig. 7) und endlich die offen-
bare Benutzung textiler Dessins. Jn den Formen
von Fig. 8 u. 9 zeigen sich deutlich die Formen
der für Gewebe nnd Stickereien so vielfach ver-
wendeten Figur des Granatapfels und der
Palmotte, in Kerbschnitt ausgeführt. Das Ori-
ginellste dabei ist aber jedenfalls die Art der
Ornamentirung, wie sie sich an einer Partie
der Wandvertäfelung vorfindet (Fig. 10), die
in ihrem unteren Teile vollständig an ro-
manische Muster erinnert, während die Be-
krönung über dem bandverzierten Friese auf
Formen hinweist, wie man sie noch heute auf
orientalischen Teppichwirkereien sieht.
Als Letztes möge ein hübscher Kasten, Fig. 12
ebenfalls Tiroler Arbeit, hier seinen Platz finden,
der auch schon lange seinem ursprünglichen
Standorte entrückt ist. Noch jetzt ließe sich mit
nicht gar großen Geldmitteln manches charakte-
ristische Exemplar solcher Arbeiten in Tirol
dem Lande erhalten, und vielleicht finden diese
Zeilen den richtigen Weg, um der Verschache-
rung der wenigen noch vorhandenen Reste einer
künstlerisch reicheren als der jetzigen Zeit vor-
zubeugen, oder dieselben wenigstens an einem
Orte zu vereinigen, wo sie vor weiterer Ver-
schleppung gesichert sind.
Ng.
Bon dcr Decke zu Trostburg.
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als niemals früchtetragendes Reis aufzupfropfen,
statt sie mit viel näher Liegendem, leichter Ver-
ständlichem bekannt zu machen, das sie nicht
nötigt, innerhalb eines Jahrzehnts den Stil zu
wechseln, wie man allenfalls einen anderen Rock
anzieht. Der Mangel an selbständigem Studium
der Natur oder an der Hervorrufung desselben ist
es, der unserer Zeit den vollendeten Stempel der
charakterlosen Jmitation giebt, die natürlich nach
allem begierig greift, was noch benutzbar, bis
zur Stunde von keinem anderen reproduzirt
worden ist.
Eines der interessantesten Beispiele von
gotischer Holzdekoration aus Tirol dürste wohl
ein zu Niederndorf im Pusterthale befindliches
Haus besitzen. Es enthält zwei Zimmer, wo-
von das eine Wandvertäfelung und Decke, das
andere nurmehr den mit einer dicken Kalkkruste
überzogenen Plafond hat. Dort finden sich For-
men allen möglichen Ursprunges nebeneinander,
die man sicherlich ganz verschiedenen Zeiten zu-
schreiben würde, sähe man sie nicht als Ganzes
bereinigt, was doch unbedingt auf ihre gleich-
zeitige Eutstehung hinweist. Die Balken der
Decke zeigen das ganz einfache Bandmuster
(Ng. 5), daneben Kerbarbeiten rein geometri-
schen Charakters, freie ornamentale Benutzung
begetabilischer Formen (Fig. 6), dann wieder
Reminiscenzen an klassische — vielleicht an Re-
naissanceornamente (Fig. 7) und endlich die offen-
bare Benutzung textiler Dessins. Jn den Formen
von Fig. 8 u. 9 zeigen sich deutlich die Formen
der für Gewebe nnd Stickereien so vielfach ver-
wendeten Figur des Granatapfels und der
Palmotte, in Kerbschnitt ausgeführt. Das Ori-
ginellste dabei ist aber jedenfalls die Art der
Ornamentirung, wie sie sich an einer Partie
der Wandvertäfelung vorfindet (Fig. 10), die
in ihrem unteren Teile vollständig an ro-
manische Muster erinnert, während die Be-
krönung über dem bandverzierten Friese auf
Formen hinweist, wie man sie noch heute auf
orientalischen Teppichwirkereien sieht.
Als Letztes möge ein hübscher Kasten, Fig. 12
ebenfalls Tiroler Arbeit, hier seinen Platz finden,
der auch schon lange seinem ursprünglichen
Standorte entrückt ist. Noch jetzt ließe sich mit
nicht gar großen Geldmitteln manches charakte-
ristische Exemplar solcher Arbeiten in Tirol
dem Lande erhalten, und vielleicht finden diese
Zeilen den richtigen Weg, um der Verschache-
rung der wenigen noch vorhandenen Reste einer
künstlerisch reicheren als der jetzigen Zeit vor-
zubeugen, oder dieselben wenigstens an einem
Orte zu vereinigen, wo sie vor weiterer Ver-
schleppung gesichert sind.
Ng.
Bon dcr Decke zu Trostburg.