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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Miessner, Wilhelm: Moderne Plaketten und Medaillen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0050

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MODERNE PLAKETTEN UND MEDAILLEN

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langen Gewandlinie. Die Leiden des Gebarens prägen
sich noch deutlich in ihren Gesichtszügen aus und
doch ein frohes seliges Aufblicken. Am Rande mit
ganz feinen Buchstaben, als deutete ein Künstler des
16. Jahrhunderts einen Heiligenschein an, das Wort
»Maternite«. Wir müssen die Medaille fast ganz
herumdrehen, um das heilige Wort zu Ende zu lesen.
Das ist Roty. Der Schätze sind so viele, wir wollen
gleich zum allerbedeutendsten gehen: Charpentier.
Er liebt die hohe Rechtecksform, die Plakette in allen
Größen, oder auch eine breite Gußleiste, auf die er
z. B. zwei Babyköpfe anbringt, Namen und Geburts-
tag dazu. Mit ihrer drolligen Schädelform, den vor-
geschobenen Lippen, der kleinen neckischen Stirn,
halb weinend, halb la-
chend, ein Porträt im vor-
nehmsten Sinne des Wor-
tes. Durch ihn hat auch
die Gußplakette ihre Vor-
züge vor der geprägten,
wie in alten Zeiten wie-
der bewiesen.

»Malerei« von Char-
pentier: eine kleine ein-
seitige Gußplakette. Das
Rechteck ist an den vier
Ecken abgeschnitten. Das
schon wirkt wie ein Bild
mit Rahmen. Ein Knabe
bis zur Hüfte dargestellt
hält Pinsel und ein Blatt
in der Hand. Ein Deut-
scher hätte es sich nicht
nehmen lassen, etwas dar-
auf zu schreiben oder zu
zeichnen. Hier wirkt aber
gerade diese Leere, fein
ausgeprobte Fläche so
stimmungsvoll, der matte
Silberton, der magere
feinsinnige Knabe, sein
verträumter Blick. Jedes
Wort ist überflüssig. Die
Zeichenkunst ist ähnlich
durch ein Mädchen dar-
gestellt. Dupuis wieder
ist Meister in der stim-
mungsvollen Gewand-
behandlung. Aber auch
die Darstellung des Nack-
ten gelingt ihm außer-
ordentlich. Auf der einen
Seite eine üppige Jungfrau,
auf Felsgeröll zu einem
Baume hinansteigend, sie
langt nach einemNest.Ganz
unten ein kleines erhöhtes
Band und darauf: »LeNid.«
Der Revers zeigt rechts am
Rande einen hohen Baum-
stamm, in seiner Mitte

ZIERQEFÄSS, MODELLIERT VON BILDHAUER
ALBERT REIMANN, BERLIN

geht ein Ast ins Bild hinein, auf dem eben nur ein
kleiner nackter Bengel Platz findet. Er füttert ein
Vögelchen. Die ganze übrige Fläche ist leer, das
nackte Silber selbst, sein mildes Licht erzählt uns ja
so viel. Dupres »Salut au soleil« ist das Werk eines
Poeten in der Medaillenkunst. Nur Roty kann man
als Phantasiekünstler mit ihm vergleichen. Ein Greis
und ein Knabe am Ufer des Meeres, den Rücken uns
zugewendet,^anbetend schauen sie der untergehenden
Sonne nach. Bei dem Alten, die Stellung, die an-
dachtsvolle Haltung des ganzen Körpers, die Hände,
die sich an einen Stab lehnen, bei dem Knaben das
unbeholfene, unverstandene Danebenknieen, beides löst
auch im Beschauer ein intensives Versenktsein in

den Lichtgottesdienst aus.
Welches Volk, welche
Religion, welche Wissen-
schaft, welch noch so
hoch entwickelter Mensch
könnte sich der für uns
ewigen Wahrheit der voll-
kommenen Abhängigkeit
von dem großen schwei-
genden Lichtball dort
hinten entziehen. Seine
Werke stehen vor und
hinter allem Menschen-
werk. Von dem Pilger
am Meeresufer laßt uns
das wieder lernen, sagt
Dupre. Das Format ist
ein breiter flacher Tor-
bogen, fünf zu sechsein-
halb Zentimeter und auf
der Rückseite stehen die
Worte:

»Qand tout change pour toi
La nature est Ia meine
Et Ie meme soleil
Se Ieve sur tes iours.«

Das französische Volk
hat sich der Macht dieser
Prediger und Philosophen
mit dem Zeichenstift und
dem Griffel nicht entziehen
können und hat sich seiner
ursprünglichen Vorliebe
für die Medaille wieder
besonnen. Davon erzählen
die vielen modernen Ge-
dächtnisplaketten und Me-
daillen von namhaften
Künstlern wie Coudray,
Patey, Bottee, Vernier,
Gazin, Dupuis und ande-
ren. Der Aufenthalt der
russischen Flotte in Tou-
lon, der des Zarenpaares
in Frankreich, die Ge-
 
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