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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Bauernhaus und Arbeiterheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0070

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BAUERNHAUS UND ARBEITERHEIM

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einfachsten und naheliegendsten Forderungen einer
wirklichen Kulturexistenz erfüllt sind, inwieweit dem
Gebiete der Ernährung, der Körperpflege überhaupt
wirklich für Alle Rechnung getragen ist, so sinkt die
Wagschale, welche durch das Gewicht der sogenannten
»Bildung« in die Höhe geschnellt wurde, herab als
lägen schwere Bleigewichte drinnen, und die Frage
wird unwillkürlich laut, ob ein Ausgleich gegenüber
der Wertschätzung des tatsächlichen Lebens — das
Wohnen mit allem, was drum und dran hängt, gehört
in erster Linie mit dazu —, ein intensiveres Sorgen
für den »Corpus sanum« nicht mindestens ebenso
wichtig wäre, als die Aufnahme großer Wissens-
quantitäten, die noch lange nicht ausreichen, um die
Existenz behaglich zu machen. So ist es auch mit
den Begriffen für Kunst. Alle Welt greift nach dem
Höchsten — ob befugter- oder unbefugterweise, das
bleibe dahingestellt — denn man hat in Vorträgen
ja so vieles gehört und zuweilen auch verstanden;
man ist begeistert für alles Große, was man zu sehen
bekommt, ohne den Schluß daran zu knüpfen, daß
derlei Eindrücke verschwinden, weil die tägliche, die
stündliche Umgebung durchschnittlich der größte
Schalldämpfer ist. Was nützt alle Begeisterung für
hochstehende Erscheinungen, wenn das Verständnis
für die Wichtigkeit der guten Ausbildung im schein-
bar Nebensächlichen fehlt? Es ist Strohfeuer!

Die Basis, auf der die ganz stark entwickelten Er-
scheinungen der Kunst stehen, ist die Volkskunst,
jenes breite Niveau des Könnens, das sich im Haus,

im einfachen Gebrauchsmöbel, in der tagtäglichen
Umgebung des Menschen zu erkennen gibt, jenes
Niveau, das so deutlich noch in der Architektur ver-
einzelter alter Städte wie Goslar, Hildesheim, Rothen-
burg a. d. T. und anderen sich ausspricht. Unsere
Zeit weist dagegen einen bedenklichen Tiefstand auf,
dank der Erziehung, die den Lernenden zuteil wird.
Die Volkskunst ist der Ausgangspunkt, der Nährboden
der sogenannten hohen Kunst. Eine bedeutsame All-
gemeinausbildung der letzteren ist nicht denkbar, wenn
ihr der Schemel und der Stuhl, die Unterlage fehlt.
Sie kann durch ein Spezialisieren auf einzelnen Ge-
bieten und innerhalb bestimmt abgesteckter Grenzen
vielleicht Bedeutsames leisten, ohne daß die Wirkung
dieser Leistungen fördernd auf alles was Kunst heißt
einwirkt. Der Beweis liegt in der Malerei unserer
Tage. Sie spielt in unzähligen Ausstellungen die her-
vorragendste Rolle, ohne daß ihr Einfluß von tat-
sächlich allgemeinem Belang geworden ist. Japans
Malerei nimmt innerhalb der künstlerischen Allgemein-
gebarung nicht jenen Rang ein, wie es die europäische
tut. Das hindert nicht, daß das ganze Leben der
Japaner ein weitaus stärkeres und wahreres Empfin-
den für künstlerische Dinge aller Art in sich trägt
als das des »zivilisierten« Westens, der dies Empfinden
einmal besaß, heute aber darin durchaus nicht vor-
bildlich wirkt, und gab es dreimal soviel Museen als
jetzt schon bestehen und zehnmal soviele Vorträge
als zurzeit gehalten werden. Spräche man weniger
von Kunst, gäbe man etwas weniger Geld für Aus-

WELTAUS-
STELLUNO
ST. LOUIS 1904,
VON MYRBACH,
RAUM DER
WIENER
KUNST-
GEWERBE-
SCHULE
IM ÖSTER-
REICHISCHEN
HAUSE
 
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