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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Bauernhaus und Arbeiterheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0072

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BAUERNHAUS UND ARBEITERHEIM

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ständigem Denken in ihm ausgerottet"ist und er die
Rezepte seiner Herren Lehrer und Vorgesetzten gut
zu befolgen imstande ist, dann mag das geschmack-
loseste Zeug in Masse geliefert werden — wer früge
denn darnach! Die Dorfstraße wird so bald wie
möglich korrigiert, Baulinie wird zur Vorschrift wie
denn überhaupt das Lineal meist weiter reicht als der
Verstand, jeder Abbruch eines alten Hauses wird als
Fortschritt der Zivilisation gepriesen. Was dann an
dessen Stelle entsteht, entspricht selbstverständlicher-
weise den Anforderungen des »höher gebildeten Ge-
schmackes« solch eines Matadoren. Liegen aber in
den Städten die Verhältnisse durchschnittlich etwa
besser? Wollte man sich die Mühe geben, alle des
Jahres hindurch passierenden Ungeheuerlichkeiten zu-
sammenzustellen, so käme gewiß ein famoses Resultat
heraus. Wo bleibt unter diesen Verhältnissen heute
die Volkskunst, die Äußerung der Freude am künst-
lerischen Schaffen bei den alltäglichen Aufgaben des
Lebens? Sie muß nofgedrungenerweise zu Grunde
gehen unter dem Umstände, daß lediglich eine be-
stimmte Berufsklasse von Menschen hier ausschlag-
gebend wirkt, der persönlichen Ausdrucksweise aber
kein Spielraum mehr übrig bleibt.

Mein Weg führte mich kürzlich in ein kleines
Landstädtchen. Vom Bahnhof führt eine bolz-
gerad angelegte, mit Bäumen bepflanzte, mit Trottoir
versehene Straße, die überall in Deutschland gleich
charakterlose und eintönige »Bahnhofstraße«, an der
die langweiligen, keine Spur von lokaler Eigenart
zeigenden Häuser schön ausgerichtet in Reih und
Glied liegen, nach dem älteren Teile des Ortes.
Die Häuser stehen hier in ihren Längsachsen durch-
aus nicht alle rechtwinkelig zur Straßenachse, die
meisten sind ein wenig über Eck gestellt, so daß eine
Hauskante weiter vortritt als die andere. An dieser
Hauskante befindet sich das Fenster, von dem aus
der Insasse die im Bogen geführte Straße in ihrer
vollen Ausdehnung zu übersehen vermag. Zu dieser
Bogenführung der Straße lag kein anderer Grund
vor, als eine ganz einfache Geschmacksäußerung.
Heute würde man ja zweifelsohne die Straße schnur-
gerade mitten durch die Ortschaft führen und der
Schulmeister müßte lehren, daß das schöner sei. —
Einfache Erkerausbauten, schlichte Holzgiebel, Riegel-
mauerwerk, da und dort unter dem Dachvorsprung
eine mit ganz primitiven Schnitzereien bedeckte Holz-
verschalung, die Fenster bald gruppenweise zusammen-
gezogen, bald einzeln über die Wandflächen verteilt. Die
Haustüren, seitlich mit Guckfenstern versehen, sind grün
angestrichen, die Fensterkreuze rot, das Balkenwerk eben-
falls und die Mauerflächen, an denen die Ziegelfugen
sorgsam verstrichen sind, weisen farbig getönten
Mörtelbewurf auf. Das alles zusammengenommen
wirkt außerordentlich reizvoll. Mein Begleiter drängte
weiter. Wir sollten Arbeiterhäuser ansehen. Ich trat
zuvor noch in einige der älteren Häuser ein, um
die Grundrißanlage kennen zu lernen: Überall die
große, durch zwei Stockwerke sich erstreckende
Diele, aus der freilich die Feuerstelle verschwunden
ist. Rechts und links von diesem Mittelraum die

paar Wohnräume, die Aufgänge zu den oberen
Kammern. Es ist der charakteristische Grundriß des
niedersächsischen Hauses mit einigen lokalen Eigen-
heiten. Das Innere der Häuser ist schmuck- aber
nicht reizlos, die Stuben, meist nur mit geglättetem
und leicht getöntem Verputz oder äußerst einfacher,
gestrichener Vertäfelung in weichem Holze, blank
gescheuerter Dielenboden; die Fenster durch schmale
Pfosten getrennt über einer Brüstung von 1,30—1,50,
mehr in der Längs- als in der Höhenrichtung ent-
wickelt, davor truhenartig ausgebildete Bänke und
reichlich mit Blumen besetzt; weiße Zuggardinen, die
nur die Lichtöffnung decken, aber nicht bis zum
Boden reichen; die Decke weist entweder das Gefüge
des Balkenwerkes, in den Feldern hin und wieder
eine Blume in Schwarz, Weiß und Grün, oder ist glatt
verputzt. Das alles sah behaglich, sauber, wohnlich
aus. — Und nun gings weiter, den Arbeiterhäusern
zu, die, eins wie das andere in Backsteinrohbau aus-
geführt, mit regelmäßiger Fensterstellung in Reih und

KARL SPINDLER, ST. LEONHARD, N.-ELSASS
TÄFELUNG (S. ABB. S. 64)
 
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