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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0498
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hatte und in ihnen einen Schatz
wertvoller Gesinnungen und Kennt-
nisse umschloß.

Das Wandern ist keine wirt°
schaftliche und unmittelbar prak-
tische Notwendigkeit mehr. Höchst
vollkommene Beförderungsmittel
haben es entbehrlich gemacht. Aber
könnte es nicht sein, daß wir allen
Grund hätten, es von Kultur we°
gen zu wünschen? Könnte nicht
gerade unser Leben und unsre Zeit
einen Wurzelboden abgeben für
eine neue Lntfaltung dcr alten
deutschen Wanderfreude? Für eine
allgemeinere Entfaltung, mcin ich,
als im Gemüt des einzelnen und
besonderen? England hat seine
Sportsitten, die das ganze Volk in

stützt, suchen es zu fördern. Dem
Ausländer fällt es auf, welche
Scharen von Wanderern und wei°
ter ausholenden Spaziergängern
die Sonntagszüge aus unsern
Städten ins Freie führen. Arbei-
tervereine, die vordem nur dem
politischen Leben dienen wollten,
nehmen in den stetig sich erwei-
ternden Umkreis ihrer Bestrebun-
gen auch die Pflege des Wanderns
auf. Alle Stände suchen auf ihre
Weise an dieser neuen Wander-
freude teilzunehmen.* Freilich mit
Ausschluß der materiell gesättigten,
geistig vielfach allzu satten Kreise.
Die Bewegung drängt von „unten"
herauf, von der Iugend und vom
Volke.

Holzschnitt nach Franz Pocci

allen Schichten beherrschen. Mö-
gen wir behütet bleiben vor solch
einseitiger Herrschaft. Um eine
„Herrschaft" handelte sich's beim
Wandcru auch gar nicht. Zu wün-
schen wärc: daß das Wandern eine
deutsche Sittc würde — wie es das
einst gewesen ist. In andern Be°
dürfnissen des praktischen Lebens,
aber nicht minder fest wurzelnd,
nicht minder allgemein und nicht
minder ernsthaft und dankbar ge-
pflegt als einst.

Fast könnte es scheinen, als
wären wir auf dem Wege dahin.
Ganze Vereinigungen widmen sich
ausschlicßlich dem Wandern; die
Iugend vor allem begeistert sich da-
für; die Schulen, von Behörden
und gemeinnützigen Vereinen unter-

Vor allem aber weckt eines
freudige Hoffnungen auf eine kom-
mende Sitte: diese neue Wander-
lust hat zuverlässige Gcdanken,
klare Absichten, feste Kulturwünsche
zum Gelcite. Sie setzt sich ohne
Pedanterie und Enge frohe, schöne
Aufgaben und macht sich ernstlich
an ihre Bewältigung. Sie wird,
wenn nicht Fröste auf diesen grü-
nenden Frühling fallen, in einigcr
Zeit sich glückliche Formen, erfüllt

* Eine Zusammenstellung aller
Linrichtungen, die dem Wandern
dienen, auch wertvolle praktische
Ratschläge in großer Vollständig-
keit bietet das kleine Buch von
Raydt und Eckardt „Das Wandern"
(Teubner, Leipzig).

2. Iuniheft Wl

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