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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0505
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den Tages-
ereiguiffen

Endlich stifte irgendein wohl-
tätiger Verein, wenn's der Rat
nicht tut, in jede Handwerksbur-
schen- und Schülerherberge die
Ortschronik, auch — wo der-
gleichen vorhanden ist — einen
„Führer" oder sonst eine Be-
schreibung der heimischen Natur-,
Kunst- und Industrieverhältnisse.
An den stillen Abendcn der Herbst-
und Winterzeit wird dergleichen
unzweifelhaft dankbar gelesen.
Wieviel gerade die Armsten und
die Iungen dabei profitieren, das
weiß am besten, wer selbst als
armer Iunge mit dem Drang nach
Belehrung dereinst in die Welt ge-
zogen ist. Ludwig Grimm

Billig, und man hat doch
was davon

^m „Berlincr Tageblatt" steht
Odiese Annonce:

„Rivicra, Italien, Schweiz,
Sstendc usw. Mit Karawanserci-Ab-
zeichen der allererstcn hotels wird
Ihnen für es Mark Ihr Kofser beklcbt.

Adreflen niederzulegen unt.bei

Rudolf Mofle.°

Und da gibt es noch Leute,
welche die Gasthausdiener an-
schnarren, wenn sie ihnen ihre
schönen Koffer bekleben!

Zu der Berliner Neise-
ausstellung

(Von Lust, Technik und Kultur des
Reisens)

ie Neiselust zu wecken braucht's
heut keiner Ausstellung mehr.
Früher reiste man nur im Som-
mer, jetzt reist man das ganze
Iahr. Früher reiste nur der
Reiche — und der Handwerks-
bursche, heut reist bald jedermann.
Einst waren die Sterne im Baedc-
ker dünn gesät, heut ist die ganze
Welt ein einziger Stern, und nicht
nur der Dichter, der Mann mit

den suchenden Augen, findet Schön-
heit überall, auch dem Stumpfesten
wird sie aus den verborgensten
Winkeln auf dem Präsentierteller
entgegengebracht. Kein fernstes,
tiefstes Tal, wo der Mensch nicht
hinkommt mit allem, was an ihm
menschlich und allzumcnschlich ist.
Bisweilen kann diese Entwicklung
einen wohl wehmütig stimmen. Es
war doch schön, wenn man so
untcr fernem Himmelsstrich vor
der Natur staud, ein Mann allein:
Berg uud Tal, der blaue, blaue
Himmel und soweit das Auge reicht
— kein Berliner! Ietzt hört man
den angenehmen Iargon längst
nicht mehr blotz in Heringsdorf und
das Sächsische in Benedig (ich
meine das sächsische Italienisch:
Asti schbuinande!) — auf die ein-
samste friesische Fischerinsel verfol-
gen uns die allzu vertraulichen
Laute, und wenn wir unten am
Strande des provenzalischcn Dich-
ters auf einem Felsen sitzen, ver-
sunken in die contsinplation cks Is
mer („Vou8 eonnaisser, n'est-ee pas,
estte joli xriserie cke I'sms?") —
reicht uns ein herzensfreundlicher
Nachbar seinen Opcrngucker zur
besseren Inaugenscheinnahme der
Wclt und aller ihrer Herrlichkeit.
Es ist nicht nur Egoismus, was
solcher wehmütigen Betrachtung zu°
grunde liegt, nicht nur für sich
sclbst, auch für die Natur bedauert
man ja diese Entwicklung; sie war
wirklich schöner, die Welt, als sie
noch nicht so entdeckt war, als sie
noch nicht so vielen Liebhabcrn gar
so entgegenkommend und — speku-
lativ ihre geheimen Reize ent-
hüllte, als sie noch gesucht, gewon-
nen werdcn mußte mit Leidenschaft,
Träumerei und Entbehrung. Aber
man wird darüber nicht die gute
Seite der Sache übersehen dürfen:
daß nun so viele, viele der Schön-
heit, Frciheit und Erholung des

UH Kunstwart XXIV, (3
 
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