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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1912)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0056

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ich habe bestimmt, daß der Sächsische Rundflug ausgerechnet in Chemnitz
anfangen mußte!"

Zornbebend antwortete die Mutter: „Du hast gesagt, du willst Maschi-
nenbau studieren!"

Wolfgang lächelte listig. „Die Flugmaschine", erklärte er, „gehört in
diese Abteilung." Und hielt einen ausführlichen Vortrag über den
Drachenflieger in seinem zwanzigjährigen, feuertrunkenen Allegro. Müh-
sam beherrscht rief er: „Mutting, es gibt nichts Kolossaleres als die Flug-
sache, in unserer wundervollen Zeit gibt es nichts . . . Kolossaleres! Die
Krämer freilich . . . ich will dir eine wahre, kostbare Geschichte erzählen.
Anser weltberühmter Poststephan, als das Telephon ihm vorgeführt wurde,
daß er es einführen sollte sür die Reichspost, hat er gesagt: »Es ist
eine Spielerei für Millionäre.« Wörtlich! Und ich sehe ihn lächeln, ich
sehe dieses Lächeln der wohlwollenden Untätigkeit ... Es gibt eben, es
gibt einen Grad der Krämerei, den spätere Zeiten ganz einfach mit Ge-
fängnis bestrafen werden, reifere Zeiten. And ich sage dir, Mutting: in
zwanzig Iahren fällt es keiner Marktfrau mehr ein, wenn sie von Chem-
nitz nach Dresden will, auf Rädern am Boden hinzurutschen! Mit einer
lächerlichen Reibung! Auf einer blödsinnigen Zickzacklinie, und außerdem
doch noch bergauf, bergab! . . . Welchen Platz aber, welche ungeheure
Bodenfläche verschlingen diese acht Meter breiten, Milliarden Meilen
langen Bahnwege, Landstraßen und so weiter. Aberall könnten Korn-
felder . . . wogen . . . Weißt du auch, daß ich heut morgen einen Preis
geholt habe, immerhin sechstausend Mark? Wovon zweitausend auf meine
Kappe kommen? Ohne Ankosten? And ich werde mir noch ganz andere
Preise holen. Also wir flogen über ein Panzerschiff, das mit Schlemm-
kreide an den Boden markiert war, warfen Scheinbomben. Die meine
ist dem Panzerschiff am allernächsten gekommen! In einem künftigen
Seekrieg mit England oder Iapan sprengen wir jeden beliebigen Fünf-
Hundert-Mann-Panzer mit Melinit in die Luft, aus der Welt!"

Die Mutter klagte: „And wenn du zehnmal recht hast mit deinen wogen-
den Kornfeldern, mit all deinen Zukunststräumen: die Tollkühnen, die
jetzt als Erste das Fliegen ausprobieren, die opfern sich! Beim dritten
Fluge stürzen sie ab oder meinetwegen bei ihrem sechsten! Mein Einziger!
Es ist unmöglichü Hörst du: du bist mein Einzigerüü

Doch auf die überlegene Weise der jungen Studenten lächelte Wolfgang.
Er kehrte um und wies mit der Hand auf seinen weiß schimmernden
Fallschirm, er sagte: „Auf jeder andern Maschine ist es auch meiner
Meinung nach entschiedener Leichtsinn, Fallschirm aber ist schlechthin ge-
fahrlos, sturmsicher. Aberlege doch bloß: Ich und mein Kartenleser, das
sind beinahe drei Zentner! Wir sitzen mit unserm gemeinsamen Schwer-
punkt zweiundvierzig Zentimeter unter dem Druckmittelpunkt! Daher
der vortreffliche Name »Fallschirm«! Wenn du mit einem Fallschirm
aus einem Ballon springst, mit einem Fallschirm von der Größe meines
Flugzeuges, legst du dich auf den Boden wie eine Flaumfeder! Selbst-
verständlich gibt es Gefahren; zum Beispiel ist es vorgekommen, daß eine
Maschine in der Luft anbrannte. Dn siehst, Mutting, daß ich die Sache
kaltblütig und absolut objektiv durchdacht habe, aber es gibt auch zum
Beispiel Eisenbahnunglücke! Wo man hilflos zwischen zwei Sitzbänken
zerquetscht wird! And weiß Gott, Mutting, ich fühle mich sicherer, wenn

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Kunstwart XXVI, l
 
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