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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1912)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0190

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solchen Entschluß befreit man sich
von der drückendsten Sktaverei der
modernen Welt, der Bildungsfron,
jener ebenso lästigen als gemein-
schädlichen Kopfsteuer. Der betref-
sende Entschluß kostet übrigens nicht
mehr als die Entsagung anf den all-
seitigen Genuß sämtlicher Sonnen-
strahlen und sämtlicher Landschaften;
es bleibt für das Bedürsnis des ein-
zelnen noch immer ein Äberfluß
übrig, wenn er sich mit seinem Teil
bescheidet...

Eine Kunstform entsteht, sobald
der Kunstgenuß als eine Pflicht auf-
gefaßt wird. Es ist so wenig die
Pslicht des Menschen, Schönheit und
Kunst zu lieben, als es eine Pflicht
ist, den Zucker süß und angenehm zu
finden. Die Kunst ist vielmehr eine
gütige Erlaubnis und eine men-
schenfreundliche Einladung, mehr
nicht; man kann es nehmen oder
lassen. Glücklich, wer ihr zu folgen
und sie zu schätzen weiß; wer es nicht
vermag, den mögen wir bedauern,
aber wir haben kein Recht, ihn des-
halb zu maßregeln oder gar zu schel-
ten. — Die Tatsache, daß die Kunst
veredelnd wirkt (echte Künstler und
naive Kunstliebhaber sind stets gute
Msnschen), legt nun allerdings den
Gedanken nahe, die Kunst als Er-
ziehungsmittel zu verwerten, und
wer möchte der Iugend das höchste
Geschenk der Erde vorenthalten?
Indessen dars dabei nie vergessen
werden, daß die veredelnde Kraft
nicht im Wissen über die Kunst, son-
dern im Genusse der Kunst liegt...

Wie die Kunst zum Genusse und
nicht zur Buße der Menschen vor-
handen ist, so muß man sich auch

den Meister, und wäre er noch so
berühmt, nicht als einen Popanz
vorstellen, der geschaffen wurde, um
zu imponieren oder gar uns zu er-
drücken, sondern als einen Freund
und Wohltäter. Liebe ist das einzig
richtige Gefühl gegenüber eincm
Meister, und zwar unbesangene, un-
mittelbare Liebe, ohne Scheu und
ohne vorsündslutliche Ehrfurcht. Mit
diesem Gefühl begnügt sich jeder
Schaffende gern, selbst der größte;
denn die Huldigung des Herzens
bleibt doch immer die feinste Huldi-
gung. Zur Liebe wird sich von selbst
der Dank gesellen, und in ihm sin-
det gewissenhafte Arbeit die schönste
Entschädigung für ausgestandene
Mühe und Gewissenskämpse. Die
Bewunderung bedeutet den Tribut
ausübender Künstler an den Mei-
ster; der Laie ist von ihr entbunden;
sie steht ihm auch schlecht zu Ge-
sicht, da er keine Ahnung von den
Schwierigkeiten hat, die in einem
Kunstwerk überwältigt und von den
Ausgaben, die in ihm gelöst worden
sind; er begnüge sich mit' Dank nnd
Liebe; das ist natürkicher und zu-
gleich bescheidener. Die Vergötte-
rung der Meister ist eine Frechheit.
Sie stammt auch nicht von den
Künstlern, sondern von den Kunst-
schulmeistern, welche sich unbefugter-
weise an einen toten Meister her-
anschleichen, um ihn als ihr Mo-
nopol in Beschlag zu nehmen und
sich mit seinem gestohlenen Glanze
vor den Menschen unleidlich zu
machen.

Karl Spitteler
(in seinem ersten Kunstwartbeitrage,
2. Septemberheft (887)

(53 Kunstwart XXVI, 2
 
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