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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0250

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uns her sind, wie wir hier unten hinter den Tieren? . . . Wir haben
unsere Hand und in der Hand ein Gewehr, . . . oder ein Messer! . . . Die
haben schrecklichere Waffen! . . . Krankheit! . . . Llend! . . . Und das
Schicksal! . . . Das sogenannte Schicksal! Mer leidet mehr? Die Tiere
oder wir Menschen? . . . Wer?"

Der alte Meser hob drohend die Faust auf.

„Wir Menschen! Wir leiden im Verstand und im Herzen! Das
ist das schrecklichste Leid!^

Und dem jungen Doktor fiel zu allem anderen auf einmal wieder
ein, daß. er ja die Fuchstaler verloren hatte.

„Wir leiden! . . . ohne Blut und ohne Wunden!"

Dann leerte er sein Glas auf einen Zug.

Die Fuchstaler weinte noch immer still in sich hinein. Aber sis
sagte nichts.

Die Sitzung dauerte nicht mehr lange. Als erste zog sich die Fuchstaler
zurück. Ganz leise und ohne jemandem gute Nacht zu bieten. Dann
brachte der junge Doktor Meser seinen Vater in das zu ebener Lrde
gelegene Gastzimmer. Der alte Professor hatte nichts mehr getrunken
und auch nichts mehr gesprochen. Anbeweglich und in sich zusammen--
gesunken hatte er am Tisch gesessen und mit ganz ausdruckslosen Augen
ins Leere gestiert.

Zuletzt gingen auch Arlet und der Doktor Meser hinauf ins erste
Stockwerk.

Auf der Stiege blieb Arlet stehen und legte dem jungen Lehrer die
Hand schwer auf die Schulter.

„Doktor, . . . heut abend haben Sie sich wohl nicht viel Gutes von
mir gedacht?"

Es war sehr düster im Stiegenhaus. Eine Ampel von tiefgrünem
Glas verbreitete ein Licht wie müden Mondschein. Amd so fühlte der
Doktor Meser Arlets auf sich gerichteten Blick mehr, als er ihn sah.

„Ich weiß nicht, Herr Arlet! Ich bin heute an der ganzen Welt
irr geworden." And nach einem kurzen Schweigen fuhr er mit beinahe
angstvoll fragender Stimme sort, „Herr Arlet, glauben Sie, daß alles wieder
einmal besser aussehen wird und freundlicher?"

Arlet nickte leise lachend.

„O jak ... Wenn die Sonne wieder scheint!"

And während sie dann die Stufen weiter hinaufstiegen: „Morgen
sprechen wir noch mehr, Doktor! . . . Bevor Ihr Vater srwacht. Für
heute merken Sie sich eins: Wenn Sie einen Menschen umbringen,
dann ist die Verantwortung, die Sie auf sich laden, lange nicht so groß,
als wenn Sie einen Menschen in die Welt setzen — oder sich gar auf
die Vorsehung hinausspielen wollen! . . . Der liebe Gott hat es halt
im allgemeinen doch viel leichter, als wir Menschen. Gute Nacht!"

G

Am nächsten Morgen ließ Iohannes Arlet den Doktor Meser in sein
Arbeitszimmer bitten. Nach ein paar ziemlich inhaltlosen und gleich--
gültigen Reden über den vergangenen Abend sagte er:

„Ihr Vater darf heute noch nicht nach Hause fahren."

20H Kunstwart XXVI, 3 ^
 
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