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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0252

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Arlet wußte sofort, daß der Doktor in seiner heillosen Ausrichtigkeit
dem Alten alles, was am heutigen Morgen zwischen ihnen besprochen
worden war, ganz unverhüllt und wahrheitsgetreu berichtet hatte. Aber
er wollte jetzt nicht davon anfangen. Er wollte abwarten, wie sich der
Alte selbst dazu verhielt.

And der Professor stand plötzlich auf und trat ganz nahe an den
Schreibtisch heran.

„Herr Arlet, wollen Sie mein Freund sein?"

Da erhob sich auch Arlet und sah ihn erst eine Zeitlang sassungslos an.

„Ich bin es schon, Prosessor, und ich glaube, ich war es auch, noch
bevor wir uns persönlich kennen gslernt haben/

Der alte Meser würgte ein paarmal, daß sein großer Adamsapfel in
zuckende Bewegung geriet. And dann sagte er leise schnaubend: „Bitte,
lassen Sie mich Ihnen »du« sagen, . . . und erweisen auch Sie mir die
Ehre!"

Eine Weile schwieg Arlet und blickte dem Professor dabei fortwäh-
rend ins Gesicht. And dann — langsam und noch immer etwas ver-
wundert — sagte er:

„Wenn Sie Gewicht darauf legen."

And der Alte machte mit dem Oberkörper eine bejahende Aeigung.

„Ich lege Gewicht darauf."

Da ergriff Arlet lächelnd seine Hand.

„Also auf du und du!"

Meser ließ ihn lange nicht los.

„Aus du und du!" — Dann seufzte er auf, wie von einer schweren
Sorge befreit. — „And jetzt brauche ich nichts weiter zu sagen, als:
Dank! . . . Innigen Dank! . . . Du hast mir kein Almosen hingewor-
fen, mein Freund! . . . Du hast mir eine Freude geschenkt. Wenn
man so alt geworden ist wie ich und sein ganzes Leben nichts von dem
gehabt hat, wonach man voll Sehnsucht war, dann hat man ja wohl
das Recht, unbescheiden zu sein!"

Noch in der gleichen Stunde ging ein Telegramm an die Frau Pro-
fessor Meser nach Wien. Darin hieß es, daß ihr Mann noch eine
kleine Reise zu machen gedenke und erst in drei Wochen zurückkehren
werde.

Amd dann kam der Abschied.

Wieder trug der Professor den eisenbeschlagenen Stock und den Ruck-
sack an den breiten Riemen. And wieder saß ihm der graue, schmal-
krempige Filzhut am Kopf. Hinter dem Band aber staken ein paar
eingetrocknete Kohlröschen vom Harasserkogel.

„Werfen Sie sie nicht weg," hatte Arlet gesagt, „jedesmal, wenn neuer
Regen drauffällt, riechen sie wieder, als wenn sie gerade gepflückt wären."

206 Kunstwart XXVI, 3
 
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