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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0409

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Alle schwiegen und sahen auf den Mann, dessen Gesicht jetzt scharf war
wie aus Bronze gegofsen, dessen Augen hart sprühten wie kostbarer blauer
Stahl. Keiner fand gleich die Entgegnung.

„Glauben Sie mir," fuhr er eindringlich fort, „die Regierung denkt
an keinen liberalen Kurs, und die englische Prinzessin wird vielleicht ihren
jungen Gemahl, aber nicht das freiheitsdürstige Preußen beglücken. Sie
wird es schon deshalb nicht, weil die Voraussetzung durchaus fehlt. Ihr
Trinkspruch, mein lieber Duncker, war nämlich ein grausamer historischer
Irrwahn. England soll eine Tyrannenwehr, ein Hort der Freiheit sein!
Ach, ich wünschte, Sie würden lesen, was der verbannte Lothar Bucher,
der Englands innere Zustände genau kennt, darüber schreibt. Aber Sie
lesen nicht, Sie halten fest an diesem unausrottbaren falschen Glauben.
Wissen Sie denn gar nicht, was diese scheinheiligen Freiheitsapostel eben
erst in Ostindien getan haben zur Anterdrückung des Hinduaufstandes? In
einem ungeheuren Meer von Blut haben sie die Freiheit dieses armen
Volkes ertränkt. Das »freie Albion« ist trotz aller politischen Freiheit
im Innern der furchtbarste Bedrücker seiner Kolonien, aber keine ThranneN-
wehr."

Er hielt erregt inne. Amd als alle schwiegen, fuhr er nervös mit
der Hand über die Stirn und lächelte. „Nichts sür ungut, meine Herren.
Ich kann nur Scheinwahrheiten nicht sich frech aufrecken sehen. And
nun wollen wir uns den Fasan schmecken lassen." Liebenswürdig wandte
er sich an Duncker und fragte nach dem jungen Dichter, den er heute
vom Hungertode errettet hatte.

Bald schwärmte die Anterhaltung wieder eisrig um den Tisch.

Man nahm in diesem Hause ein kräftiges, entgegenstürmendes Wort
nicht krumm, zumal wenn es zum Nachdenken anregte.

Da schlug Boeckh an sein Glas und erhob sich. Alles verstummte so-
fort ehrerbietig und blickte andächtig zu dieser Zierde der Berliner Ani-
versität und des deutschen Gelehrtentums hinüber. Er hob sein feines
Gesicht dem Lichte entgegen, als läse er dort seine Gedanken.

„Meine Herren," begann er schlicht und lächelnd, „ich bin gewisser-
maßen nur durch Zufall hereingeschneit in Ihre frohe Gesellschaft. Es
kommt mir daher vielleicht nicht zu, mein Sprüchlein zu sagen. Es
drängt mich aber, hier unter Ihnen ein Wort über das Werk unseres
verehrten Wirtes zu sprechen."

Lassalle hob erwartungskühn die Stirn. Alle rückten lebhaft inter-
essiert auf ihren Stühlen.

„^Meine Herren, Sie wissen gewiß, daß Leibniz, von der hohen
Theorie herabsteigend, Versuche in der Praxis des Maschinenbaues ge-
macht hat. Seine Gegner behaupteten damals von ihm, er habe Kutschen
bauen wollen, die in vierundzwanzig Stunden von Hannover bis Amster-
dam sühren. Man glaubte, ihn damals mit nichts lächerlicher machen
zu können.

Die heutigen Fortschritte in der Anwendung künstlich entwickelter
Naturkräste, welche auf die Fortschritte des Wissens begründet sind, be-
schämen alle vorhergegangenen Zeitalter durch die früher kaum oder
gar nicht geahnte Aberwindung der die Sterblichen einengenden Raum-
und Zeitverhältnisse. Wenn irgendwann und irgendwodurch hat sich jetzt

* z. T. historisch


s. Dezemberheft

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