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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0410

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bewährt, was Sophokles vor Iahrtausenden sagt: »Vieles Gewaltige lebt,
und nichts ist gewaltiger als der Mensch.«

Aber, meine Herren, es gibt e i n Gebiet, auf dem die Menschheit und
ihr Erkennen nur sehr langsam vorrückt. Die großen Ideen des schöpfe--
rischen Geistes, die nicht von gestern sind, lassen sich nicht so leicht durch
beabsichtigte oder zufällige Entdeckungen oder Ersindungen vermehren.
Sie werden bisweilen für eine Zeitlang abgeschwächt und verdunkelt und
wieder neu geschaffen und gekräftigt und wieder aufgelöst, wie das Ge-
webe der Penelope. Eben weil sie uralt und eine Prometheische Mitgift
für die Menschheit auf ihrem dornenvollen Lebenspfade sind, behält das
A-ltertum einen unvergänglichen Wert für die gesamte Nachwelt: denn
es hat in jugendlicher Frische der Begeisterung jene ewigen Ideen erzeugt
und ausgeprägt, und die Späteren können an jener heiligen Flamme
Geist und Gemüt immer neu erwärmen und nähren. Wenn noch Iahr-
tausende hindurch fernerhin philosophiert wird, werden Platon und Ari-
stoteles immer den hohen Rang behaupten, den sie jahrtausendelang unter
den Philosophen einnehmen, und an ihrer Seite wird durch Äonen Hera-
kleitos, der Dunkele, von Ephesos thronen, dessen Weisheitskrone unser
verehrter Wirt einen neuen strahlenden Diamanten eingefügt hat. Ich
erhebe mein Glas auf die ewigen Ideen der Menschheit und ihre Ver-
künder —" er neigte sich gegen Lassalle — „und ihre opfermutigen
Helfer.«

Lr krank Duncker zu, der das Werk verlegt hatte.

Hell läuteten die kostbaren Römer durch den weiten Raum.

And man sprach und erwog und disputierte, bis Lassalle an das
Glas schlug.

„Liebe Gäste," sagte er, „ich danke Herrn Geheimrat Boeckh zunächst
für die Worte der Weisheit, die er gesprochen, und für die freundliche
Anerkennung, die er meinem Werke gezollt hat. Herr Geheimrat Boeckh
hat von den ewigen Ideen der Menschheit gesprochen. Gestatten Sie, daß
ich Ihre Aufmerksamkeit auf zwei dieser ewigen Ideen des deutschen
Volkes hinlenke: auf die politische Freiheit und die Einigkeit Deutschlands.

Meine Herren, das sind unsere ewigen Ideen. Sie sind im tief-
sten Grunde Ihres Herzens alle liberale Männer, die Sie an diesem Tische
sitzen. And ich meine, wo solche Männer sich versammeln, sollte von
der Freiheit und Einigkeit Deutschlands die Rede sein. Meine Herren,
ich bin kein unbedachter Schwärmer. Was ich hier sage, habe ich lange
in mir herumgetragen. Ich weiß, Familienfeste und freier Wille der
Regierung werden uns die Freiheit niemals geben. Freiheit gibt sich
ein Volk nur allein. Meine Herren —" er richtete sich hoch auf, und
jetzt sprach er stark und fest, ohne mit der Zunge anzustoßen, während seine
im Gespräch hohe und dünne Stimme. sonor wurde und ehern durch-
dringend — „H8 ist keine Warnung und kein Ende. Nein, nein, wenn
Sie auch skeptisch lächeln, mein lieber Foerster. Ich sage Ihnen, es
gibt noch einen neuen grimmen Kampf, ehe wir freie Männer und
Bürger eines Deutschland sein werden." Sein Auge blickte in pro-
phetischem Glanz ins Weite. „Der Kampf wird kommen, und siegreich
wird er sein. Nur durch Blut wird die Freiheit errungen und ein
Deutschland gekittet werden, glauben Sie mir. Der Kampf naht, und
wir alle hier, wir werden seine Frucht noch ernten."

1 3H0 Kunstwart XXVI, 5 ^
 
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