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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Spectator: Die Schuldfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0018

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Mit diesen Friedensbedingungen also will sich eine kapitalistische Welt
gegen den Sozialismus sichern, und tritt zugleich der angelsächsische Macht--
komplex die imperialistische Weltherrschaft an. Der Gesichtspunkt, der sich dabei
weithin sichtbar heraushebt, ist die ungeheuere Bedeutung der sogenannten
Schuldfrage. Nur indem es möglich war, auf Grund der Priorität der
formellen deutschen Kriegserklärung und des deutschen Einmarsches in das
neutrale Belgien der Welt die Alleinverantwortlichkeit Deutschlands für
den Krieg glaubhaft zu machen, wurde diese Art von Frieden möglich, der
sich formell wie ein moralisches Ketzergericht gibt, während er inhaltlich eine
durch den Betrug mit den Punkten und durch die revolutionäre Selbst--
entwaffnung Deutschlands ermöglichte imperialistische Angeheuerlichkeit ist,
ähnlich wie einst das Vorgehen Roms gegen Karthago. Die berechtigten
Forderungen einer Mithilfe für den Wiederaufbau des schwer geschädigteu
Frankreichs und Belgiens waren von den deutschen Gegenvorschlägen aner--
kannt, so daß ich von ihnen nicht zu reden brauche. Aber darauf ging die
heilige Allianz, die ungefähr ebenso heilig ist wie die alte vor hundert Iahren
und die moralischen Schlagworte mit ebensoviel Recht im Munde führt wie
jene, nicht ein: die Antwort war in der Hauptsache: der Ketzer wird verbrannt.
Hier liegen allertiefste politische, soziologische, völkerpsychologische und tech-
nische Gründe und Mittel im Hintergrunde, aus denen allein sich diese
Weltverteilung und Güterkonfiskation in Gestalt eines Ketzergerichtes erklärt.
Auf den Glauben an die deutsche Schuld und Verantwortung für einen
ohne diese Schuld vermeidlichen Krieg war die ganze große Weltsuggestion
aufgebaut, die durch den verhängnisvollsten Akt der deutschen Politik und
Kriegsführung, den Linmarsch in Belgien, bei allen Neutralen und kleineu
Staaten unendlich an Wirkung gewann, obwohl dieser, wie das Bethmann
tzollwegs Buch völlig klar herausgcarbeitet hat, nachweislich nicht der
Grund der englischen Kriegserklärung war. Damit wurde es den Regie-
rungen möglich, ihre dem Kriege widerstrebenden Völker in die Kriegsleiden-
schaft hineinzureißen und sich selber bei allen, auch den ungeheuerlichsten
Gewalttaten, zu behaupten. Dem Ketzer war keine Treue zu halten und
kein Glauben zu schenken, ihm gegenüber war jede Schonung Verbrechen
an der Menschheit. Damit hat man vor allem den amerikanischen Idealis-
mus aufgepeitscht, dem man den engen Zusammenhang dieses deutschen
Kulturverbrechens mit der rückständigen autokratischen Verfassung glaubhaft
machte, während man jede deutsche Verteidigung, jede deutsche Gegenrede
in Amerika dadurch ausschloß, daß man England die Äberwachung der
deutschen Post überließ. Aber das war nur ein Teil des Vorganges,
der hier vorliegt. War Deutschland derart als Schuldiger uud Verbrecher
hingestellt, so erhielten alle seine Kriegshandlungen und Zerstörungen den
Charakter frevelhafter Rohheiten und Verbrechen, die nicht aus eiuem berech-
tigten Kriege entsprangen, wie bei der Entente, sondern die Konsequenzen
einer räuberischen und gottlosen Gewalttat waren, in denen sich nur der
Charakter des ganzen deutschen Unternehmens weiter offenbarte imd be-
stätigte. Dabei wollte es der Gang der Dinge, daß die deutschen Anfangs-
erfolge Belgien und Nordfrankreich den Deutschen auslieferten: ihre in der
Tat entsetzlichen Leiden wurden also nicht als Kriegsfolge, sondern als Folgen
deutschen Wahnwitzes und Frevelsinnes hingestellt, wobci dann jede nicht
schlechthin notwendige Gewalttat und Zerstörung ein vertausendfachtes Ge-
wicht empfing. Nicht anders stand es mit dem A-Boot-Kriege, zu dem
Deutschland als einer vom bisherigen Völkerrecht nicht vorgesehenen Masz-

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