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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Spectator: Die Schuldfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0021

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größeren Gewrnn. Die Kriegsmittel wurden nun vielfach in der Tat von
größerer Härte, als unerläßlich gewesen wäre. Humanität und Gerechtigkeit
kamen offiziell in den Geruch von Sentimentalitäten, und das Befür--
worten einer Verständigung galt überall als Flaumacherei. Die poli-
tische Führung war machtlos und schwankend, sie wurde schließlich vom
Generalstab ganz in die Luft gesprengt. Militär und Politik wurden
vom Kaiser niemals zusammengehalten und ausgeglichen, und in diesem
kritischen Momente am wenigsten. Die Nation entzweite sich. Der Beweis
für den Welteroberungswillen der Dentschen, für ihre Schuld am Kriege
und für ihre schlechten Kriegssitten war durch den nie rastenden Suggerier-
krieg der Entente nnn aller Welt erst recht leicht zu erbringen. Auch dars
nicht vergessen werden, daß unsre sittlichen Kräfte drinnen und draußen
sanken, so daß die Erfahrnngen besetzter Gebiete überall in Ost und West
den Deutschenhaß erweckten. Zur Okkupation und Bearbeitung besetzter Ge°
biete hatte unsere Herrenklasse nicht das mindeste Talent. Alles das ließ
das Schulddogma schließlich so anwachsen, daß der Gegner es schließlich
wagen konnte, sogar die Aufforderung zur internationalen und unparteii-
schen Feststellung höhnisch abzulehnen. Das Dogma von der deutschen
Schuld steht dem modernen Ketzergerichte so sest, wie es dem mittelalterlichen
Ketzergerichte feststand, daß es einen Tenfel gibt — was bedeutet es, als
unerhörte Frechheit, wenn der Ketzer selbst dieses Dogma in Zweifel zieht?

Und noch ein letztes kam in Betracht: die journalistische Technik. Wie
in diesem Kriege überhaupt der Rausch der Technik allen Sinn und Ver-
stand ertötet und an sich verständliche Kriegshandlungen zum völligen Wahn-
sinn gesteigert hat, so hat die Technik der Meinungs- und Stimmungs-
erzeugung, wie sie die Länder der demokratischen Wahlfeldzüge entwickelt
haben, geradezu ungeheuerliche und unerhörte Triumphe gefeiert. Die
geistige Absperrung der Mittelmächte und der mit allen Mitteln geführte
Suggestionskrieg hat in der ganzen Welt einen Geist erzeugt, der Deutsch-
land schlechthin feindlich war und es, einerlei ob monarchisch oder demo-
kratisch, als moralisch absolut fürchterlich und menschheitsgefährlich hinstellte.
Hier haben die Bücher von Avenarius einen Teil der Künste grauenvoll
beleuchtet. Bei uns hat man derartige Angriffe einfach mit Gegenbe-
hauptungen zu erledigen geglaubt und im übrigen mit militärischem Be-
fehl und mit Zwang der Autorität gearbeitet. Die Massen haben sich
bei uns nicht oder jedenfalls nicht lange mit dieser Art „Aufklärung" be-
handeln lassen. Eines der Häupter dieses Aufklärungsfeldzuges hat mich
einmal nach den Gründen der Wirkungslosigkeit dieser Aufklärung gefragt,
und als ich ihm sagte, das trage ja alles der Psychologie der Massen gar
keine Rechnung, meinte er, daß es Psychologie für ihn überhanpt nicht gebe,-
es gebe nur Patriotismus und allensalls Machtmittel. Die Technik des
Iournalismus haben die Gegner unvergleichlich besser verstanden. Wir
haben ihnen auch, wie niemand vergessen darf, durch Aberhebung, Geist-
losigkeit, unvorsichtiges und unbesonnenes Ausplaudern aller geheimen
Wünsche und Gedanken unerschöpfliches Rohmaterial zum Verwerten ge-
geben. Wir haben an die Macht des Moralischen auch in der Venützung
als Kriegsmittel nicht mehr geglaubt und dadurch ihnen überall in die
Hände gearbeitet, ob diese Hände es sauber trieben oder nicht.

Solche Dinge muß man verstehen, wenn man die Friedensbedingungen
auch nur begreifen will. Frankreich hat in der Tat ungeheuer, es hat vor
aller Augen und es hat unter allgemeinem Hinzeigen auf seine Leiden


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