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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Kuntze, Friedrich: Der deutschen Nation Stirb und Werde: eine Stimme von rechts
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0026

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nationales Unglück abgeben. Es könnte geschehen, daß die Seele des
deutschen Volkes, durch die grausamen Ereignisse zu neuen, bisher uner--
hörten Selbstbehauptnngen aufgerufen, sich auf ihre organischen Grund-
bedingungen besänne, so daß ihr geistiger Organismus aus jener objek-
tiven Kultur sich wieder mehr das assimilierte, was er braucht, nicht wie
jetzt, nur das, was er muß. Wir würden dann wieder harmonische, das
heißt gesunde geistige Persönlichkeiten entstehen sehen. — Ich fühle, man
wird mir vorwerfen, daß ich eine einfache Sache zu kompliziert und mit
zu großen Zurüstungen ausgedrückt habe. Das kommt oft vor bei dem
Versuche, eine Sache allgemein auszudrücken; dieser Versuch aber ist nötig,
wenn man Gründe und Folgen einer Erscheinung, namentlich auf soziologi-
schem Gebiete, aufdecken will. Auch Rechnungen führen oft durch eine Kette
der fremdartigsten Symbole hindurch, um bei einfachen Zahlen zu enden.

Von den Problemen, die sich aus der Zähflüssigkeit der objektiven
Kultur für die I u g e n d e rz ie h u n g ergeben, will ich nur das Problem
der Erziehung der künstigen Volkserzieher, der Schullehrer, streifen. Wie
das Brot, das wir essen, auf dem Wege des Kauens und Verdauens bis
zu seinem endgültigen Assimiliertwerden immer dünnflüssiger wird, so geht
es auch nonnalerweise mit den Inhalten der objektiven Kultur, bis sie
an ihren eigentlichen Konsumenten, hier die lernende Iugend, kommen.
Zwischenstationen sind die Schnl-, Zwischenstationen die Hochschul-Lehrer.
Und hier gewahren wir nun das Mißverhältnis, daß eine Verfestigung des
Kulturflusses just an dem Punkte eintritt, wo gerade die Verflüssigung
stattfinden sollte: bei der Vennittelung der Inhalte der objektiven Kultur
durch die Aniversitäten. Ich las mit Neid vor einiger Zeit im Marc Aurel
die Charakterbilder seiner einstigen Lehrer — es sind ebensoviel Monu-
mente — und dachte: ach wenn dir doch auch in der ganzen Eindrucks-
fähigkeit deiner ersten Studentenjahre nur ein solcher Mann begegnet
wäre, dem du deine Seele in die tzände hättest geben können! Daß dies
Glück mir und so vielen andern nicht zu Teil werden konnte, liegt an
jener eben erwähnten Verfestigung. Ich erläutere ihr Wesen durch die
Bemerkung Schopenhauers, dem Treiben jedes großen Schriftstellers liege
ein angeborener Kniff zugrunde. Der seine besteht darin, daß er den
Gedanken dann, wenn er zu größter Bildhaftigkeit und Lebhaftigkeit ge-
diehen sei, gleichsam mit der kalten Reflexion übergieße und ihn so er-
starrt aufbewahre. Für ihn war diese Maxime gut; aber weniger Menschen
Einfälle sind so groß, daß sie die sofortige Versteinerung lohnen und
Preis dafür: als lebendige Wesen auf Lebendige wirken können. Sehr
viele akademische Lehrer setzen ihren vornehmsten Ehrgeiz nicht dahinein,
Lehrer, sondern Forscher zu sein, daher geht ihre Arbeit von einem Buch
in ein anderes Buch unter Ausschaltung des Persönlichen. Von dem
Ideal, das Goethe so bewunderte: „Alles, was der Mensch zu leisten
unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht,
muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen; alles Vereinzelte ist
verwerflich" sind wir gerade auf den Aniversitäten, dank dem Spezialisten-
tmn, leider weit entfernt. Daher wird so vieles von den herrlichen Dingen,
die an den Universitäten aus dem Inhalt der objektiven Kultur zu ver-
mitteln sind, nie recht lebendig; jene Inhalte gleichen eben, wie ich schon
einmal an dieser Stelle sagte, den Schatten in tzomers Hades: sie müssen
lebendiges Blut getrunken haben, ehe sie zu Lebendigen reden können.

Ich stimme durchaus denen bei, die dafür halten, nur durch geistige
 
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