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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0047

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abgezogen und haben hier unsere schon
bestehenden Ansiedlungen und Be-
ziehungen vernachlässigt, ja zugrunde
gehen lassen. Wir haben damit unsere
Pioniere geschädigt, unser Bezugsland
für allerlei Rohprodukte, besonders
unsere Kornkammern vernachlässigt.
Wären jene Tausende von Deutschen
dahin gewandert, so würde Osteuropa
heute erstaunliche Massen von Roh-
produkten an uns abgcben können. Wir
hätten als Tauschobjekt eine unend-
liche Fülle von Industrieartikeln dort-
hin abgesetzt. Durch solch vernünftige
Wirtschaftspolitik, die sich von allen
politischen Eroberungsplänen fern-
gehalten hätte, wären die Völker im
Osten für nns gewonnen worden, so
aber kannten sie uns nicht, weil wir
uns um sie wenig gekümmert, ihre
Interessen nicht gefördert haben. Ilnsere
Gegner in Äbersee haben aber redlich
dafür gesorgt, daß die Ostvölker gegen
uns aufgehetzt wurden. So kam es
infolge unserer Politik, daß wir, von
Äbersee abgesperrt, im Osten nichts zu
holen hatten!

Wenn wir uns nach Osten wenden,
wird vielleicht der Gewinn für einzelne
nicht nach Millionen zählen, aber die
Gesamtheit des deutschen Volkes würde
den Vorteil wohl verspüren. Wir wer-
den jedenfalls unsere Freiheit nicht
opfern müssen und auch nicht nur
Schwarzbrot essen, wie Schairer meint.

Den Völkern des Ostens Berater und
Kulturbringer zu sein, das war unser
natürlicher Beruf. Mit goldenen Lettern
steht in dcr Gcschichte geschrieben, was
das deutsche Volk bisher auf diesem
Gcbiet getan hat.* Auf dcutscher Grund-
lage stcht die Kultur Osteuropas; mit
ihr fällt sie auch, denn sie ist noch nicht
abgeschlossen, noch nicht vollendet. Mit
über 75 v. H. Analphabeten kann ohne
Beihilfe kein moderner Staat erbaut
und erhalten werden! Was jetzt überall
im Osten geschieht, ist ein Zeugnis da-
für. Ohne Hilfc wird man dieser Ver-
wirrung nicht Herr werden, den Wieder-
aufbau nicht durchführen können. West-
europa wird sich dieser undankbaren
Arbeit nicht unterziehen, es hat viel

* Ma» vergl. meine „Geschichte der
Deutschen in den Karpathenländern"
und „Sie S»»tschen in Ostenropa".

näherliegendere und nutzbringendere
Ziele und Arbeitsgebiete, von denen
es uns abgesperrt hat. Wird aber den
Deutschen die wirtschaftliche und knltu-
relle Arbeit im Osten unmöglich ge-
macht, dann verfallen die Oststaaten
völliger Anarchie. Die Massen werden
weiter ausgewuchert und ausgebentet
werden. Sie werden verarmen, von
der Scholle vertrieben, dem Bolsche-
wismus verfallen. Sie werden in noch
weit größeren Scharen als bisher aus-
wandern nnd sich im Westen unliebsam
bemerkbar machen.

Hintcr dem zusammengebrochenen
Osteuropa steht aber die gelbe Gefahr.
Die zermürbten Oststaaten werden sie
nicht aushalten. Äm so mehr muß die
Gesundung des mittleren und des öst-
lichen Europa angestrebt werden. Nur
dann werden wir eine Rolle spielen
können, wie zurzeit der Einfälle anderer
östlicher Völker, zuletzt der Türken, nur
dann werden wir für Westeuropa ein
Bollwerk sein.

Und noch eines möchte ich sagen.
Auch im Osten hat der Krieg über die
Deutschen viel Änglück gebracht. Aber
so weit ich sehe, ist dort jener schreck-
liche, krankhafte Haß, der uns im
Westen zuteil wird, nicht vcrbreitet.
Die Masse unserer Nachbarn im Osten
ist uns weit besser gesinnt. Im Krieg
mag manches geschehen sein, was nie
zuvor geschah und wohl in Zukunft
unterbleiben wird. Deutsche, die sich
nach dem Osten wenden, werden dort
jedenfalls rascher eine zweite Heimat
finden als im Westen. So hat Nu°
mänien den Deutschen im Ostkarpathen-
gebiete schon erfreuliche Iugeständnisse
gemacht, und die Ukrainer bewerben sich
um die Einwanderung deutscher In-
genieure, Verwaltungsbeamtcn, Forst-
leute. Auch laufen Deutsche im Osten
nicht Gefahr, ihr Volkstum zu ver-
lieren. Das sei noch ganz besonders
betont!

Graz. R. F. Kaindl

Die Gefangenen frei!

ach der Begleitschrift zu den end-
gültigen Friedcnsbcdingungen der
Entente gehört zu den „Tatsachen", die
keiner Nachprüfung bedürfen, weil sie
sich bei Boches eben von selbst verstehn,
a»ch die: daß wir unsre Kriegsgefange-

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