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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0061

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Linem Bcttlergewande nüt bunten
Flicken gleicht das Häuschen, das vor
zwanzig Iahren, wo auch schon der
Kramladen drin war/ sich im Auße-
ren von seinen Nachbarn wenig unter-
schied. Der Blechschilder-Anssatz hat es
befallen, wie alle Häuser mit solchen
LLden, von den „feinen" in der Grotz-
stadt-Verkehrsstraße an bis zu den
kleinsten auf den Dörfern.

„Dagegen läßt sich nichts tun." Nichts?
Diesen Sommer wird mancher Haus-
wirt und Ladenbesitzer sein Haus von
außen auffrischen lassen, was er ja
während des Krieges nicht konnte.
Sollt' er dabei nicht wenigstens die
Schilder entfernen, deren Waren jetzt
nicht zu haben sind? Das würde den
Wirrwarr wenigstens etwas verringern.
And vielleicht verfeinert solches Lun
bei manchem Ladenbesitzer den Ge-
schmack, und er läßt noch ein paar
andere Schilder abreißen, sich dadurch
zwar nicht um sein Geschäft, aber um
die Verschönerung des Haus- und
Straßeubildes cin Verdienst erwerbend.

V. H-

In der Elektrischen
<^n der bekannten „drangvoll fürchter-
Olichen Enge" stehe auch ich und
ärgere mich über kräftige junge
„Damen" und Burschen, die alten
Männern und alten Frauen die Plätze
wcgnehmen. Da kommt ein Mütter-
chen herein, das sicher über Siebzig
zählt, mit einem Gesicht, wie ein
Schädel in grüngelbem Leder. Sie tastet
nach einer Lehne zum Anhalten. Ein
zwölfjähriger Iunge, Pöbelmensch dem
Gesicht, feinfein den Kleidern nach,
sein Backfisch von Schwester und seine
rotfettige Mutter gaffen sie aus nächster
Nähe an und rühren sich nicht. Ein
Herr aber, der sicherlich auch schon
über Sechzig ist, hilft ihr freundlich
auf seinen Platz.

Es ist wirklich fchon kaum mehr
zu begreifen, wie sich auch gut-
angezogene Leute jetzt in der Elek-
trischen benehmen. Früher galten die
Theatergarderoben für die Hauptstellcn
der Selbstenthüllung in diesem Punkte,
und ich werd' es nie vergessen, mit
welchem Ausdruck ich einmal zwci
Iapaner diesem Kampf um die Hüte
zusehen sah, die wartend beiseite stan-

den. Ietzt sind die Haupt-Selbstprosti-
tutionsstellen der Zuchtlosigkeit die
Straßenbahnwagen. Abcr man seufze
dazu nicht und sage: „Ia, uns fehlt
die Galanterie". Gott sei Dank, daß
wenigstens die Galanterie uns fehlt —
wenn das heutige Wesen von der Be-
vorzugung der Dame als solcher
abgelöst würde, so wäre damit auch
nichts getau. Von der Rücksicht auf
den Schwächeren soll es abgelöst
werden, gleichviel, welchen Geschlechtes
er ist. Damit durch öffentliche Er-
ziehung oder durch sonstwelche Maß-
nahmen nun endlich ernsthaft zu
beginnen, ist gerade jetzt an der Zeit.

„Arme kleine Eva!"

ämlich wegcn Z 2s8 Str. G. B. Ver-
brechen gegcn das keimende Leben.
So wird der neueste „Aufklärungs-
Kulturfilm" empfohlen. Er soll „eine
Warnung für unerfahrene junge
Mädchen, eine Mahnung an die
leichtlebige Männerwclt" sein. Die Re-
gicrung fördert alle Kulturbestrebungcn
(wie „bekanntlich" jede Regierung), also
anch diesc. And das Kino ist eine
Woche lang gesteckt voll von — ja,
wovon? Von „armcn kleinen Eva"-
Kandidatinnen? Iedensalls von jungcn
und älteren Herren nnd von uncrfah-
renen, sowie von weniger uncxfahrenen
Damen. Also: Das Filmgeschäft soll
moralische Anstalt werdcn. Aber
zweierlei hat man dann doch wohl
auf jeden Fall überschen. Erstens,
daß das übrige Programm, das das
Kino bietct und vor allem bis heute
bot, genau so wie die meisten Opcretten
und Possen, die scxuellen Schwächen
unserer Zeit nicht etwa bekämpft, sondern
im Grunde empfiehlt. And zweitens:
daß dadurch das Kino selbst seinPub-
likum so sehrzurleichtfertigenEinstellung
auf crotischeDinge erzogen hat, daß diese
„arme kleine Lva" eher die Begehrlich-
keit der Männer und den Neid der
Mädchcn reizcn dürfte. Wie sollen
denn die „uuerfahrenen Mädchen" dar-
auf kommen, sich hier auf einmal
„warnen" und die „leichtlebigen
Männer", sich hier nun plötzlich „m ah-
nen" zu lassen? Einsichtigen ist ja
längst klar geworden, daß sowohl der
Pfarrer wie die Aufklärungsschrift und
gar der Aufklärungsfilm in sittlichen

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