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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0080

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Ferner ging eine Unrwandlnng vor in meiner Anschanung vom Poetischen.
Ich hatte mir, ohne zn wissen wann nnd wie, angewöhnt, alles, was ich
in Leben und Kunst als branchbar, gut und schön befand, poetisch zu nennen,
und selbst die Gegenstände meines erwählten Berufes, Farben wie Formen
nannte ich nicht malerisch, sondern immer poetisch, so gnt wie alle menschlichen
Ereignisse, welche mich anregend berührten. Dies war nun, wie ich glaube,
ganz in der Ordnnng, denn es ist das gleiche Gesetz, welches die verschiedenen
Dinge poetisch oder der Widerspiegelung ihres Daseins wert macht; aber in
Bezug auf manches, was ich bisher poctisch nannte, lerntc ich nun, daß das Unbe--
greifliche und Unmögliche, das Abenteuerliche und Aberschwengliche nicht
poetisch ist und daß, wie dort die Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur
Schlichtheit und Ehrlichkcit mitten in Glanz und Gestalten herrschen müssen,
nm etwas Poetisches oder, was gleichbedeutend ist, etwas Lebendiges und
Vernünftiges hervorzubringen, mit einem Wort, daß die sogenannte Zweck-
mäßigkeit der Knnst nicht mit Grundlosigkeit verwechselt werden darf. Dies
ist zwar eine alte Geschichte, indem man schon im Aristoteles erschen kann,
daß seine stofflichen Betrachtungen über die prosaisch-politische Nedekunst zn-
gleich die besten Rezepte auch für den Dichter sind.

Denn wie es mir scheint, geht alles richtige Bestreben auf Vereinfachung,
Zurückführung und Vereinigung des scheinbar Getrennten und Verschiedenen
auf einen Lebensgrund, und in diesem Bestreben das Notwendige und Ein-
fache mit Krast und Fülle nnd in seinem ganzen Wesen darzustellen, ist
Kunst; darum unterscheiden sich die Künstler nur dadurch von den anderen
Menschen, daß sie das Wesentliche gleich sehen und es mit Fülle darzustellen
wissen, während die anderen dies wieder erkennen müssen und darüber er-
staunen. Und darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verständnis
es einer besonderen Geschmacksrichtung oder einer künstlichen Schule bedarf.

. (Aus dem Grünen Heinrich)

(E i n f ä l l e)

^*vras die Einfälle betrifft, so ist es eine eigene Sache mit ihnen, und

gehört ein Raffael dazu, jeden Strich stehen lassen zu können, wie
er ist. Wie manche Blume, die man in aufgeregter Abendstunde glaubt

gepflückt zu haben, ist am Morgen ein dürrer Strohwisch! Wie manches
schimmernde Eoldstück, welches man am Werktage gcfnnden, verwandelt sich
bis an einen stillen heitern Sonntagmorgen, wo man es wieder besehen

will, in eine gelbe Rübenschnitte! Man erwacht in der Nacht und hat einen

sublimen Gedanken und freut fich seines Genies, steht auf und schreibt ihn
auf bcim Mondschein, im Hemde, und erkältet die Füße: und siehe, am Morgen
ist es eine lächerliche Trivialität, wo nicht gar ein krasser Ansinn! Da heißt es
aufpassen und jeden Pfennig zweimal umkehren, ehe man ihn ausgibt! Da
hilft weder blindes Gottvertrauen noch Atheismus; es passiert jedem, der nicht
feuerfest oder vielmehr wasserdicht ist. Goethe hat gut sagen: „Gebt ihr euch
einmal für Poeten, so kommandiert die Poesie!", welchen Spruch ein tüchtiger
Prosaiker meiner Bekarintschaft jungen Dichtcrn unter die Nasc zu reiben
pflegte, wenn sie von Stimmung sprachen. Der wackere Mann dachte nicht
daran, daß Goethe den „Faust", wo selbiges Sprüchlein geschrieben steht, ein
ziemliches Stück Leben lang mit sich herumtrug, ehe er ihn drucken ließ. Und
seltsam! Gerade die Stimmung ist manchmal die gefährlichste Schlange für
hoffnungsvolle Dichter. Wie manches Blatt Papier, welches nian in „guter
Stunde" vollgeschmiert, kommt eincm nach einem halben Iahre so schauer-
lich vor, daß man vor sich selbst in die Erde kricchen inöchte, rot wie ein Krebs,
und dem Himmel dankt, daß man selbst uird nicht etwa ein Nachlaßherausgeber
hinter die Sache gekommen ist. (Aber Gotthelf)

(Iugendsünden)

gibt Leute, welche fast alle möglichen Untugenden in blinder Kindhest
^antizipieren nnd wie Kinderkrankheiten ausschwitzerr, während z. B. zu
wetten ist, daß ein rccht fleißiger und solider Gründer, der Millionen stiehlt»

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