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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1919)
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Troeltsch, Ernst: Demokratie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0123

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Feudalismus hier überhaupt nicht stattgefunden hat. Schärft man aber
einmal an dem Beispiel Amerikas sein Auge für die Möglichkeit kon-
servativer Demokratie und vor allem eines mit ihr verbundenen, kon-
servativ aus den alten Quellen schöpfenden geistigen Lebens, so wird man
ähnliche Züge in der sich so stark demokratisierenden englischen Gesellschaft
finden, ja auch in Frankreich, wo die geistige Tradition des klassischen
Zeitalters in Wahrheit höchst konservativ neben allen Revolutionen her-
geht und diesen nur in der Philosophie der Menschenrechte einen An-
knüpfungs- und Verbindungspunkt darbietet. Die alte aristokratische
Geisteskultur uud Freiheit ist dabei in Wahrheit ungebrochen geblieben.

So wird es auch bei uns werden können und müssen. Auch unsre
klassische Geisteswelt bietet Verbindungslinien zu einer geistig-ethischen
Auffassung der Demokratie genug. Im übrigen aber bleiben Geist und
Kultur, bleibt die Tiefe der Seele doch genau das, was sie war. Der
,geistige Inhalt bleibt nach wie vor an die geschichtliche Substanz und
Äberlieferung gebunden, was auch alles jetzt an unhistorischem und anti-
historischem Aktivismus und internationalem Erpressionismus usw. auf-
rauschen mag. Das sind die Blasen, die die Gärung in die göhe treibt.
Auch die bisher zu Aurecht unterdrückte sozialistische Wissenschaft, die ein
Bekenntnis und ein Glaube ist wie nur irgend eine Theologie, mag sich
jetzt die Plätze zu sichern suchen. Auch das ist vorübergehend. Die wahre
Wissenschaft ist weder bürgerlich noch proletarisch, soudern schöpft nach wie
vor aus dem Born der großen wissenschaftlichen Aberlieferung und des
schöpferischen Talents. In alledem braucht nichts anders zu werden und
wird hoffentlich nichts anders werden. Die Heiligtümer des deutschen Geistes
in Sitte, Wissenschaft, Kunst, Poesie und Musik, seine mittelalterliche und
seine klassische Herrlichkeit: alles das bleibt uns Quelle und Antrieb nach
wie vor. And je tiefer der neue deutsche Staat aus dem Volksleben heraus
begründet sein mutz, um so ernster wird sein geistiges Leben uach der
Kraft und Fülle, der Würde und Anpassungsfähigkeit, der Ligen-
ständigkeit und Formsicherheit des deutschen Geistes streben müssen und
können.

Gewiß bringt die Demokratisierung auch für Geist und Wissenschaft
neue Aufgaben. Aber es sind Aufgaben der Organisation und Ausbrei-
tung, nicht solche einer inhaltlichen limstürzung. Von diesen Aufgaben
kann hier nicht die Rede sein; denn das ist eine schwierige Sache für sich,
wo der Abereifer soviel schaden kann wie eine unverständige Zopsigkeit.
Nur das eine ist hier aber allerdings hervorzuheben: Die Ausbreitung
und Popularisierung des Geistes hat natürlich ihre schweren Gefahren,
aber man verschanze sich nicht allzu frühe hinter dem fachmäßigen und
aristokratischen Geist der Wissenschaft. Die Ausbreitung führt auf der
andern Seite doch auch zur Synthese, zur Vertretuug bestimmter Stellung-
nahmen, zur Vereinheitlichung des Bildungs- und Kulturgutes, zur
eindrucksvollen Formung des geistigen Besitzes. Das alles aber sind
gerads Forderungen, die aus der inneren Entwicklung unsres geistigen
Lebens gleichzeitig selbst hervorgehen. Denn dieses verlangt ganz von
selbst und von sich aus Konzentration, Vereinheitlichung, positive Lebens-
auffassung und künstlerische Form oder lebendigen Ausdruck. Das Spezia-
listentum, der Relativismus, das bloße Spiel und die Schulmäßigkeit, das
waren ja bisher schon seine Gefahren, die bei uns härter drückten als bei
andern Völkern, je mehr sich bei uns eine ungeheure wissenschaftliche
 
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