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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 21 (1. Augustheft 1919)
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Menzer, Max: Vom Wesen und Wert einer volkstümlichen Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0126

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denken der Lebensvorgänge und „Erscheinungen" wird weiter dem Vorurteil
und dem Aberglauben den Nährboden abgraben.

Ganz besonders stark dürfte aber ein volkstümlich gewordenes philosophisches
Denken auf die Erziehung des kommenden Geschlechtes im günstigen Sinne
einwirken. Abgesehen davon, daß die mancherlei verfänglichen Fragen, die von
Kindern an ihre Eltern gerichtet werden, heute in den meisten Fällen unge-
nügend und widerspruchsvoll beantwortet werden, sind Erwachsene, die selbst
einen festen inneren Halt erworben haben, ganz anders in der Lage, auch den
Kindern einen solchen zu vermitteln. Ia, die durch Denken gewachsene Persön-
lichkeit wird in dieser Beziehung allein schon durch ihren höheren Mert einen
hcilsamen Einfluß ausüben.

Ein nicht zu unterschätzender Gewinn wird sich weiter durch das Erstarken
dcr Loleranz und des Gerechtigkeitsgefühls ergeben. Vieles Kleinliche, das
uns heutc noch anhaftet, dürfte im Lichte philosophischer Lrkenntnis fallen
und manches Unscheinbare, dessen Wert wir unterschätzt haben, wird an Be-
deutung für uns gewinnen, indem wir Scheinwerte, ohne eitle Genüsse, von
wirklichen Werten nnterscheiden lernen. Die Freuden, die ihm aus Natur,
Wissenschaft und Kunst und vor allem aus der Betätigung seiner eignen reichen
Persönlichkeit erblühen, werden einem so sehend gewordenen Menschen dann ein
reiches Äquivalent für den Verlust jener niederen Freuden bieten.

Zum Schlusse noch ein Wort über den Eharakter einer volkstümlichen Philo-
sophie. Geistige Anschauungcn werden aus ihrer Zcit geboren. Sie lösen und
erheben sich vom Grunde der gegebenen materiellen Verhältnisse, wie der Duft
ciner Blume sich crhebt, und schweben gleichsam in der Luft. Sie werden von
Menschen mit besonders feinen Nasen aufgespürt und dann zu eincm geistigen
Extrakt verarbeitet, der auch gröberen Sinnen schließlich fühlbar wird. So
waren Ieiten des Aufstieges und des Lebensgenusses noch immer von einer
optimistischen, und Zeiten des Niederganges und der Zersetzung von einer
pessimistischen Welt- und Lebensbetrachtung begleitet. Auf die heitere Lebens-
bejahung der griechisch-römischen Kulturepoche folgte während ihrer Zersetzung
die weltabgewandte christliche Philosophie und auf die dem Wachstum des auf-
strebenden Bürgcrtums entsprossene optimistische eines Leibniz und anderer,
die den Zersetzungsprozeß dieses Bürgertums begleiteude pessimistische eines
Schopenhauer, während dem Individualismus eines Nietzsche der Kampf aller
gegen alle philosophisch entspricht. Inmitten dieser Gegenpole menschlicher Welt-
betrachtung steht abcr die sogenannte neutrale Philosophie, die ihren Meg über
Giordano Bruno, Spinoza und Goethe gemacht hat. Sie betrachtet diese Wclt
weder als die beste, noch als die schlechteste der Welten, sondern als die einzig
mögliche Welt, die nur in unserer Anschauung gut oder schlecht ist.

Eine volkstümliche Philosophie muß unzweifelhaft diesen letzteren Weg ver-
folgen. Denn die Masse des Volkes hat nach ihren Erfahrungen keinen Anlaß,
allzu optimistisch über diese Wclt zu denken. Aber der ihr innewohnende, heute
immer mehr erkennbar werdende Drang nach Erhaltung wird sie ebenso vor
allzu großem Pessimismus bewahren. Ebensowänig kann eine volkstümliche
Philosophic einseitig individualistisch gerichtet sein. Das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit und die Erkenntnis, daß nur durch Gesellschaft das Leben zu seiner
höchsten kulturellen Blüte aufsteigt, wird die Masse veranlassen, die Welt in
diesem Lichte zu sehen. Ohne Zweisel: Der Geist des aufsteigenden Sozialismus
wird sich auch feine Weltanschanung bauen. Diese aber muß im Denken und
Fühlen der Masse, die der Sozialismüs vertritt, verankert sein, sie muß also
volkstümlich sein. Eine solche Philosophie wird wie der Sozialismus selbst
fest in dieser Erde wurzeln. Sie wird nicht von einer transzendentalen Aber-
welt her das irdische Leben betrachten und beurteilen, sondern umgekehrt von
hier aus ins Ewige und Anendliche vorzudringen versuchen.
Aber auf diesem Wege wird sie gar bald die Einheitlichkeit und Größe des
Weltgeschehens erkennen, das sich in immer neuen und vollkommneren Formen
manifestieren will, und befriedigt von dem genossenen Ausblick, wird sie auch
 
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