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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1919)
DOI Artikel:
Schliepmann, Hans: Die Wenigen und die Vielen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0191

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Genie gesandt, das dem großen Volksempfinden Stimme gegeben hat;
und sollte es fehlen, so hätten wir noch Vorzeitschätze auf allen Gebieten
deutscher Gemütskunst genug, um uns an ihnen mit neuer Vertiefung
zu erbauen. Wecken wir nur die Sehnsucht nach Erlösung vom grauen
Alltag zum wahren Lebenssonntag, „wollen Sie nur, und Sie haben eine
Kunst!" Sie muß die natürliche Blüte am Baum des Volkslebens sein, sie
ist nicht zu okulieren i die natürliche Blüte entspricht der gesunden Pflanze,
dem gesunden Boden. Dem müssen unsre Mühen gelten, dann kommt
unsere Blüte mit unserm Frühling! Amd rechte deutsche Kunst wird
auch nicht mit Hebeln und mit Schrauben, nicht mit Kunstbetrachtungen
und Gutzuredeir, am wenigsten mit Betrieb und Geld gemacht.

Daß höhere Sittlichkeit noch weitergehende Forderungen zu stellen hätte,
kann in diesem Zusammenhange unerörtert bleiben. Vermag sich aber
ein erkrankter Organismus nicht einmal von den Lrregern seiner Krankheit
zu befreien, so hat er überhaupt kein Lebensrecht, so wird er eine — russische
Einrichtung, eine bloße Krippe für die Gewissenlosen am Ruder nnd deren
vorn dienernden, hinten tretenden Kreaturen. Der Schutz vor Raub und
Mord genügt nicht als Staatsziel; den würde in einem anarchischen Getriebe
schließlich eine gedungene bessere „Wach- und Schließgesellschaft" auch noch
leisten. And den Schutz gegen feindliche Nachbarn... Es fragt sich, ob
ein anarchisches, idealloses, aus lauter für sich kämpfenden Selbstsüchtlingen
bestehendes Volk nicht von menschheitswegen nur noch wert wäre, daß es
zugrunde geht!

Auch das ^ozialdemokratische Ideal einer Verstaatlichung aller Erzeugnis-
mittel wird nicht zum Ziele führen, weil es eine Mechanisierung des Lebens
voraussetzt, die Erstarrung, nicht organisches Wachstum hervorbringen müßte.
Wesentlicher erscheint mir das Ziel, eine Art Sozialisierung des Geld- und
namentlich Kreditverkehrs, dergestalt, daß unser Geldwesen mehr und mehr
den Händen entzogen würde, die einzig aus der „Arzeugung" des Geldes
durch Zinsentragen ihren eigenen Vorteil zu ziehen suchen. Dieser müßte
zunächst dadurch beschnitten werden, daß man wie Moses mit dem Wider-
sinn der unendlichen Verzinsung bricht und also für jede Schuld bei der
Zinszahlung auf eine wesentliche Schuldentilgung dringt. Also „Amorti-
sationsverpflichtung", und zwar derart, daß jede' Schuld in wenigen Iahr-
zehnten getilgt ist. And sollte man nicht wenigstens die Hilfe, die das
Kapital geleistet hat, mit drei vom Hundert bemessen halten, da es doch
alle Mühe nur dem Schuldner überläßt? Würde jeder Zinssatz aber
sechs vom tzundert mit der Hälfte als Tilgungsanteil für Wucher er°
klärt, so würde der Anreiz zu Geldgeschäften derart zurückgehen, daß man
das Kreditwesen ohne Kummer dem Staat oder irgendwelchem, allein auf
Wohlfahrt der Geldschwachen ausgehenden genossenschaftlichen Gebilde über-
lassen würde.

Der Materialismus hat uns verführt, Wertbemessung mit Lohnbemessung
gleichzusetzen und das Geld zum Maßstabe aller Dinge zu machen. Doch
er machte dabei das Leben nicht lebenswert! Aber: dem Gebot der inneren
Stimme zu folgen, dieses unverlierbare Glück ließ Tausende Mühsal und
Not der Verkannten und Verlästerten auf sich nehmen; und noch der Narr
des Idealismus, der Perpetuum-mobile-Lrfinder oder der sich selbst zum
Dichter dichtendc Stammler, ist beglückter in seinem Wahn, als wenn er
zum millionenrafsenden Häuteaufkäufer umsattelte.

In dieser Wertschätzung des Glückes der Tätigkeit selbst, nicht ihres

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