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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 22 (2. Augustheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0193

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sammenwirken — der Mensch seien, und
nichts weiter dahinter. Denn diese
beiden, zusammengerechnet und in ihrer
vollen Entfaltung zugleich sich gegen--
seitig ins Ungemessene steigernd, das
und nichts anderes ist der Götze Macht,
ist das Können, das selber das Soll
sein, der Knecht, der den Herrn spielen
will. Der Glaube an diesen Gott, das
ist es, was die Menschheit auf diesen
Punkt gebracht hat, auf dem sie heute,
doch wohl ein wenig zu ihrer Ver-
wunderung, angelangt ist. „Glaube",
sage ich, und an diesen „Gott". Denn
so haben wir es von Luther gelernt:
„Das Lrauen und Glauben des Her-
zens, das allein macht beide, Gott und
Adgott. Die zwei gehören zuhaufe:
Glaube und Gott. Worauf du dein
Herz hängst und verlässest, das ist
eigentlich dein Gott." Sucht mit der
Laterne, ob ihr einen andern als diesen
Gott findet, au den unsere Zeit, im gan-
zen, von Herzen glaubt; ich finde keinen.

Nicht um Vergangenes rechten, son-
dcrn Zukiinftiges fordern!

ie Menschen müssen hart werden
und die Dinge ganz unabhängig von
der bisherigcn Kricgspsychologie sehen
lernen. Von unsrer Schuld im all»
gemeinen brauchen wir gar nicht zu
redenl Wirkliche Schuld tragen bei
uns Deutschen die politischen und wirt»
schaftlichen Kreise, die das Anfangs-
programm verließen, weil sie, vom
Anfangserfolg verführt, Unmögliches
wolltcn und übcr die ethische Begründ-
barkeit sich keine Gedanken machten.
Das Volk selber hat keine Schuld. Aber
es hat kein Arteil gezeigt über die stei-
gende Gefahr, und die Intelligenz hat
sich allzu willig von der offiziösen und
der Reklamierten-Dialektik fangen
lassen. Die Schuldsuggestion und die
Suggestion der geistigeu Minderwertig-
keit mutz natürlich glatt und einfach
abgclehnt werden. Aber die Fehler
müssen erkannt und die Tatsachen im
richtigen Lichte gesehen werden. Hier
darf es ketn Mitleid geben. Klarheit,
Festigkeit, Würde und geistige Er-
neuerung müssen die Parole sein. Unscre
Politik muß die der Schwachen sein,
die wir politisch jetzt nun einmal sind:
Existenzrecht und Lebensfähigkeit auf
Grund moralischer Gerechtigkeit zu

fordern, und immer neu zu fordern,
nachdem für den europäischen Konti-
nent die Politik der „großen Mächte"
zu Ende ist und nur eine Verständigung
aller in zweiter und dritter Linie
stehenden Völker unter sich und mit
den großen Weltrcichen mehr möglich
ist. Danach muß Sprache und Gedanken-
gang geändcrt werden. Ob der Völker-
bund zunächst schon möglich erscheint
oder nicht: ein Völkcrbund, der mehr
ist als eine Gesellschaft zur Garantie
von Anrecht, muß unsere Forderung
sein und unsere eigene innere Er-
neuerung unser Rechtstitel auf ihn.
Nicht rechten um Vergangenes, son-
dcrn Zukünftiges fordern: das sei der
leitende Gedanke.

Aus diesem Grunde muß jeder von
uns vor allem auf richtiges Sehen
drängen, wo er selber aus kleinen Aus-
blicken urteilcn kann. Das alles hat
nichts zu jun mit dem Sündergefühl,
daß wir nicht demokratisch genug wären.
Die Geister, die heute den Vorder--
grund beherrschen, werden verschwinden
und unsre Nation muß vor allem hart
auch gegen sich selber und ihres wirk-
lichen Rechtes bewußt werden.

Ernst Troeltsch

„Vor dem Zusammenbruch"?

ir haben allen Anlaß, ernst zu sein
und sorgende Gedanken zu denken.
Aber ich hoffe auf Vcrständnis, wenn es
mir etwas lächerlich scheint, wie seit
Monaten immer wieder der„Zusammen-
bruch" Deutschlands vorgeführt wird.
Einen Zusammenbruch haben wir
hinter uns: den vom September jM-
Seither drohten uns tagtäglich Nedner
und Schreiber mit dem „völligen", dann
dein „endgültigen" Zusammenbruch.
Wann sollte der eintreten? Wenn die
Seeleute in Bremen nicht ausführen,
wenn der Erfolg der Werbung für den
Ostschutz nicht höher stiege, wenn nach
den Plänen des Sozialisten Soundso
mit dem Sozialisieren begonnen würde;
wenn die Ostseefischcrei verstaatlicht
würde, vor allem: wenn die bolschewisti-
sche Flut käme. Im Dezember, im Ia°
nuar, im Februar, im März, April,
Mai, Iuni usw. Vieles von dem ist
längst eingetreten, worauf der Zu-
sammenbruch „naturnotwendig" folgen
mußte. Ist der Iusammenbruch nun

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