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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 24 (2. Septemberheft 1919)
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Bonus, Arthur: Götterdämmerung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0257

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Oder ist das Trübsinn? Gibt es — vielleicht inr Zusammenhang mit dem
Sozialismus — neue Ideale, die wieder volksverständlich sind und dennoch
unbedingt verpflichtend auftreten? Neue Ideale, die religiös wirken?

Es scheint, es gibt sie. Von zwei Seiten her. Einerseits aus den Zu-
sammenhängen höchster feinster Bildung und tiefster religiöser Versenkung
her gibt es ein Ideal, das nur noch nicht volksverständlich geword'en ist.
Und ihm wächst andrerseits entgegen eine Volksschauung, die nur noch nicht
— wie soll man sagen? — aussprachereif ist. Eine ungestüme, sich selbst
noch nicht verstehende. Oder vielmehr eine, die sich selbst in materialistische
Symbole mißversteht.

Die beiden könnten sich nähern, sich erkennen. Und vielleicht gerade,
wenn sie nicht allzusehr darauf sich zuspitzen, sondern eine jede sich in sich
selbst zu vollenden begehrt und arbeitet. Die Schöpfung wird dann wie
der Blitz von einem zum andern schlagen.

Aber das ist Zukunftmusik. Keiner weiß, ob eine solche Schöpfung be--
vorsteht, noch auch, wie und unter welchen Wehen. Nur das Line 'ist zu
sagen: Wenn das Schreien angeht über den Zusammenbruch unsrer euro-
päischen Kultur, so sollen die Klagenden sich darüber klar werden, daß diese
unsre Europakultur nicht allen so herrlich erscheint wie ihnen. Nicht so
herrlich, daß sie durch ihr bloßes Dasein ein Gegenbeweis gegen eine andre,
nur durch ihre Vernichtung erreichbare höhere Kultur sein könnte.

Man müßte denn zeigen, daß es einen wirklich gangbaren Weg gibtz
der aus ihr heraus über sie hinausführt und dennoch sie voraussetzt. Etwa
wie — auf materiellem Gebiet — der Sozialismus sich vorstellt, daß die
kapitalistische Erzeugungsweise nicht einfach zertrümmert werden dürfe, son-
dern vielmehr unvernichtet übernommen und sozialisiert werden müsse.

Möglich ist etwas derart imnrerhin. Die sozialen Ideale stammen ja aus
dem Nmkreis der christlichen Reichgottesidee. Aber bleiben wir bei dem
Vergleich. Die kapitalistische Zwischenstuse der wirtschaftlichen Entwicklung
zum Sozialismus, so notwendig sie nach sozialistischer Anschauung selbst ist,
wird dennoch von den Vertretern des Sozialismus glühend gehaßt. Ahn-
lich ist es mit der religiösen Zwischenstufe der christlichen Kirchen, zumal der
protestantischen. Sie haben eigentlich die moderne Staatsidee geschaffen»
die der Sozialismus doraussetzt. Aber indem sie dabei — wenigstens bei
uns in Deutschland -— zu Vertretern der Staatsallmacht, der Polizei, der
„gottgewollten" Obrigkeiten wurden, haben sie die Fülle des Hasses auf
stch gezogen. Nnd dadurch auf die Religion, die sie mit alldem zu ver-
treten behaupteten. So -ist es wahrscheinlicher geworden, daß der Lebens-
keim des Ehristentums erst in einem neuen Boden, in einein neuen Zusam-
xnenhang wieder Früchte treiben wird.

Wie dem sei, so scheint es mir mehr darauf anzukommen, daß ein un-
bekümmerter Wille selbst die Vernichtung nicht fürchtet, weil er sich bewußt
ist, daß auch die Vernichtung ihn nicht vernichken wird, daß sein schaffendes
Innenleben auch nach der Veristchtung sich alsbald erheben und eine neue
Welt schaffen wird, Soll uns diefe Probe erspart bleiben, so wird das dann
am ersten sein, wenn ein solcher Wille wach ist. Nnd dann am sichersten
nicht, wenn die jammernde Furcht und die dumpse Verzweiflung allein leben.

Diese geistige Lage hat schon einmal geherrscht. Nnd zwar in unsrer
Rasse, als sie einst Wort und Bild des Ragnarökh, der DLmmerung der
Gewalten, oder wie wir sagen, der Götterdämmerung, schuf. Ein tapferer
unbekümmerter Geist schüf aus der Ahnung heraus, daß seine Welt dem

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