der Form der sofortigen unmittelbaren Anwendbarkeit des Gelehrten im tägli-
chen Leben, zum alleinigen Kriterium einer Ausbildung erhoben hat, muß die
Vermittlung einer nicht mehr gesprochenen Sprache zum Ärgernis werden:
Latein erscheint nicht nur als Prototyp des Nutzlosen, sondern darüber hinaus
als Hindernis für das Nützliche, nämlich das Erlernen moderner Sprachen.
Ihnen raubt der Lateinunterricht wertvolle Stunden.
Es soll hier gar nicht geleugnet werden, daß eine auch noch so fundierte La-
teinausbildung den Kauf einer Briefmarke im Ausland nicht wesentlich erleich-
tert — nicht einmal im Vatikan. Aber aufgrund jahrelanger Erfahrungen als lei-
denschaftlicher Reisender und Reiseleiter wage ich die polemische Behauptung,
daß Schulkenntnisse in Französisch oder Englisch häufig nur deshalb zum er-
folgreichen Erwerb eines Brötchens in Lyon oder einer Fahrkarte in London
führen, weil die Auffassungsgabe des französischen Bäckers besser ist als die
Sprechfertigkeit des Kunden und eben an Bahnhofsschaltem nur Tickets ange-
boten werden. Niemand will auch behaupten, daß die Qualität eines Arztes in
irgendeiner Beziehung zur Note des Latinums steht, das bis vor kurzem als Zu-
lassungsvoraussetzung für ein medizinisches Studium galt. Ärgerlich ist aber die
weithin zum guten Ton gehörende Unsitte, mit dem Hinweis auf die erlittene
Lateinausbildung an der Schule zu kokettieren, um sich so in den exklusiven
Kreis der Kenner zu stellen, aber zugleich zu beteuern, man hätte diesen anti-
quierten Ballast später nie gebraucht. Die mühsam erlernte Integralrechnung
oder das Wissen um den Generationswechsel bei den Farnen hat der selbe fort-
schrittliche, kordsamtbetuchte Erfolgsmensch vermutlich ebensowenig oder
noch weniger für seine Karriere nutzbar machen können, doch würde er das nie
erwähnen.
Den Befürwortern des Latein stehen solche oberflächlich griffigen und ein-
gängigen „Argumente“ dagegen nicht zur Verfügung. Sie haben es schwerer,
und das nicht ganz ohne eigenes Verschulden. Nicht zufällig verbinden sich die
meisten Paukerwitze mit der Figur des Lateinlehrers, einer Spezies homo ma-
gister, der es nicht selten gelungen ist, eine tote Sprache noch einmal umzu-
bringen. Überaus nachteilig für das Image des Lateinunterrichts erwies sich zu-
dem, daß diese Sprache wegen ihrer sorgsam gehüteten Sonderstellung quasi
außerhalb der Fremdsprachen im engeren Sinne, der modernen also, nie in den
scharfen Wind der neueren Sprachpädagogik geriet. Deshalb blieb es von lan-
deskundlichen Tendenzen, d. h. von dem Versuch, Sprache, Geschichte und
Kultur zu einer didaktischen Einheit zu verbinden, weitgehend unberührt. Die
Trennung von Sprachvermittlung und Darstellung von Sprache als Medium, in
dem sich Kultur materialisiert, zeigt sich heute noch, wenn an den meisten
deutschen Universitäten das Studium des Latein noch nicht verpflichtend mit
dem Studium der entsprechenden Geschichtsepoche verbunden ist. Dies gilt
zwar auch für die modernen Sprachen, doch statten sich die Fachbereiche für
moderne fremdsprachliche Philogogien seit geraumer Zeit und zunehmend mit
eigenen landeskundlichen Abteilungen aus. Für den Lateinstudenten dagegen,
der nicht von sich aus das Angebot fachlich verwandter Bereiche wie Geschich-
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chen Leben, zum alleinigen Kriterium einer Ausbildung erhoben hat, muß die
Vermittlung einer nicht mehr gesprochenen Sprache zum Ärgernis werden:
Latein erscheint nicht nur als Prototyp des Nutzlosen, sondern darüber hinaus
als Hindernis für das Nützliche, nämlich das Erlernen moderner Sprachen.
Ihnen raubt der Lateinunterricht wertvolle Stunden.
Es soll hier gar nicht geleugnet werden, daß eine auch noch so fundierte La-
teinausbildung den Kauf einer Briefmarke im Ausland nicht wesentlich erleich-
tert — nicht einmal im Vatikan. Aber aufgrund jahrelanger Erfahrungen als lei-
denschaftlicher Reisender und Reiseleiter wage ich die polemische Behauptung,
daß Schulkenntnisse in Französisch oder Englisch häufig nur deshalb zum er-
folgreichen Erwerb eines Brötchens in Lyon oder einer Fahrkarte in London
führen, weil die Auffassungsgabe des französischen Bäckers besser ist als die
Sprechfertigkeit des Kunden und eben an Bahnhofsschaltem nur Tickets ange-
boten werden. Niemand will auch behaupten, daß die Qualität eines Arztes in
irgendeiner Beziehung zur Note des Latinums steht, das bis vor kurzem als Zu-
lassungsvoraussetzung für ein medizinisches Studium galt. Ärgerlich ist aber die
weithin zum guten Ton gehörende Unsitte, mit dem Hinweis auf die erlittene
Lateinausbildung an der Schule zu kokettieren, um sich so in den exklusiven
Kreis der Kenner zu stellen, aber zugleich zu beteuern, man hätte diesen anti-
quierten Ballast später nie gebraucht. Die mühsam erlernte Integralrechnung
oder das Wissen um den Generationswechsel bei den Farnen hat der selbe fort-
schrittliche, kordsamtbetuchte Erfolgsmensch vermutlich ebensowenig oder
noch weniger für seine Karriere nutzbar machen können, doch würde er das nie
erwähnen.
Den Befürwortern des Latein stehen solche oberflächlich griffigen und ein-
gängigen „Argumente“ dagegen nicht zur Verfügung. Sie haben es schwerer,
und das nicht ganz ohne eigenes Verschulden. Nicht zufällig verbinden sich die
meisten Paukerwitze mit der Figur des Lateinlehrers, einer Spezies homo ma-
gister, der es nicht selten gelungen ist, eine tote Sprache noch einmal umzu-
bringen. Überaus nachteilig für das Image des Lateinunterrichts erwies sich zu-
dem, daß diese Sprache wegen ihrer sorgsam gehüteten Sonderstellung quasi
außerhalb der Fremdsprachen im engeren Sinne, der modernen also, nie in den
scharfen Wind der neueren Sprachpädagogik geriet. Deshalb blieb es von lan-
deskundlichen Tendenzen, d. h. von dem Versuch, Sprache, Geschichte und
Kultur zu einer didaktischen Einheit zu verbinden, weitgehend unberührt. Die
Trennung von Sprachvermittlung und Darstellung von Sprache als Medium, in
dem sich Kultur materialisiert, zeigt sich heute noch, wenn an den meisten
deutschen Universitäten das Studium des Latein noch nicht verpflichtend mit
dem Studium der entsprechenden Geschichtsepoche verbunden ist. Dies gilt
zwar auch für die modernen Sprachen, doch statten sich die Fachbereiche für
moderne fremdsprachliche Philogogien seit geraumer Zeit und zunehmend mit
eigenen landeskundlichen Abteilungen aus. Für den Lateinstudenten dagegen,
der nicht von sich aus das Angebot fachlich verwandter Bereiche wie Geschich-
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