Konfrontation zeigt eine Welt eigener Art, der die traditionellen Werte und Denkformen des Nor-
dens fremd bleiben; was die Ideologen des Südens vereint, ist der Bruch mit den „griechisch-
lateinischen Idealen" (111). Auf der anderen Seite ist die Ideologie von universeller Einheit, Ord-
nung und ökonomischer Entwicklung, die östliche wie westliche Politik einmal kennzeichnete,
längst auf dem Rückzug. Die Teilung der Welt wird nicht mehr nur hingenommen, sondern ver-
schärft. Dabei bieibt es unerheblich, ob das Bild des Reiches von sich selbst und den Barbaren den
Tatsachen entspricht oder auf Selbsttäuschung beruht, wie in der Spätphase des römischen Reiches:
„Je mehr beider Ähnlichkeit zunahm, während sich das Reich dem Ende näherte, desto lebendiger
und kraftvoller wirkte diese Ideologie der Teilung und des Gegensatzes" (147).
Nicht Expansionswillen kennzeichnet das Verhältnis des Nordens zu den Gebieten des Südens, son-
dern ein Desinteresse, das an Strabos Äußerungen über Irland erinnert: Es handle sich hier um In-
seln, deren Kenntnis dem Reich weder schade noch nütze, da sie „außer Verbindung mit uns ste-
hen" (157). Um jede Beunruhigung des Nordens durch politische Katastrophen des Südens zu ver-
meiden, wird eine Grenzlinie, ein Stabilitätsgürtel, errichtet, die Rufin mit dem antiken Namen
„Limes" kennzeichnet, um sie von bisherigen Frontlinien zu unterscheiden: „Der Zweck des Limes
ist nicht die Kriegführung, obwohl er mancherorts zum Schauplatz von Offensiven wird. Der Limes
errichtet vielmehr um das Reich herum eine Zone der Stabilität und, sofern möglich, des Friedens:
Er ist eine Grenze des Ausgleichs." (158) Den heutigen Limes bewachen Küstenwächter in Florida
ebenso wie Marseiller Zöllner: Er verläuft an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, er durch-
schneidet das Mittelmeer zwischen Afrika und Europa, durchquert - hier in seiner Linienführung
noch unsicher - Asien an der Südgrenze der ehemaligen Sowjetunion. Pufferstaaten wie Mexiko
oder die Türkei werden als Zonen der Stabilität gefördert, unabhängig davon, ob ihre innere Ent-
wicklung den demokratischen Standards des Nordens entspricht oder nicht. Gänzlich irreführend
im Hinblick auf die von Rufin prognostizierte Limesziehung um Europa ist übrigens die Graphik auf
dem Schutzumschlag der deutschen Ausgabe des Buches: Durch weite Teile Südeuropas und an der
östlichen Grenze Deutschlands entlang verläuft eine dicke rote Linie. Der „Limes" ? Ein Versehen?
Oder zieht sich das „nördliche" Europa doch noch enger zusammen, als Rufin vor drei Jahren, als
die französische Ausgabe erschien, glauben konnte? Soll nicht schon bald ein lückenloser elektroni-
scher Limes die deutschen Grenzen im Osten vor illegalen Einwanderern sichern ? Noch scheint die
politische Geographie im Fluß, die Ideologie der Trennung hingegen bereits verfestigt.
Unter diesen Vorzeichen beschreibt Rufin drei Perspektiven künftigen Handelns, exemplarisch vor-
gestellt an drei historischen Gestalten: Mark Aurel repräsentiert das Prinzip „Sicherheit", das die
Trennung verstärkt, um wenigstens im Inneren des Reiches Sanftmut und Gerechtigkeit zu erhal-
ten. Jean-Baptiste Kleber, General der Revolutionsarmeen und Nachfolger Napoleons in Ägypten,
steht für einen Kampf für „Gerechtigkeit", für Solidarität und eine universelle Geltung demokrati-
scher Ideale, den kein Sicherheitsbedürfnis unterbinden kann. Roman von Ungern schließlich, der
mit einer Schar mongolischer Krieger den Kampf mit dem bolschewistischen Rußland aufnahm,
praktiziert den „Aufstand", die Destabilisierung des Nordens, durch seine radikale Alternative Die
Sympathien Rufins gehören zweifellos Kleber. Handlungsperspektiven, die über die scheinbar un-
überwindlichen Grenzen der Limes-Ideologie hinausführen können, erscheinen - bei Gefahr des
Scheiterns des Individuums - immerhin noch möglich: „Weiterhin in den Süden gehen, seine Erfor-
schung unentwegt fortsetzen, Zeugnis ablegen, Partei ergreifen, Anstoß erregen." (262)
Wer sich mit antiken Historikern beschäftigt, muß sich - gerade in der Schule - mit der Funktion
politischer Ideologien auseinandersetzen. Das Buch gibt Anstöße dafür, in welche Richtung hier
über den Horizont der Antike hinaus weitergedacht und weiterdiskutiert werden könnte. Es ist ein
hochinteressantes Beispiel dafür, daß Antikerezeption noch immer ein möglicher Weg ist, sich über
113
dens fremd bleiben; was die Ideologen des Südens vereint, ist der Bruch mit den „griechisch-
lateinischen Idealen" (111). Auf der anderen Seite ist die Ideologie von universeller Einheit, Ord-
nung und ökonomischer Entwicklung, die östliche wie westliche Politik einmal kennzeichnete,
längst auf dem Rückzug. Die Teilung der Welt wird nicht mehr nur hingenommen, sondern ver-
schärft. Dabei bieibt es unerheblich, ob das Bild des Reiches von sich selbst und den Barbaren den
Tatsachen entspricht oder auf Selbsttäuschung beruht, wie in der Spätphase des römischen Reiches:
„Je mehr beider Ähnlichkeit zunahm, während sich das Reich dem Ende näherte, desto lebendiger
und kraftvoller wirkte diese Ideologie der Teilung und des Gegensatzes" (147).
Nicht Expansionswillen kennzeichnet das Verhältnis des Nordens zu den Gebieten des Südens, son-
dern ein Desinteresse, das an Strabos Äußerungen über Irland erinnert: Es handle sich hier um In-
seln, deren Kenntnis dem Reich weder schade noch nütze, da sie „außer Verbindung mit uns ste-
hen" (157). Um jede Beunruhigung des Nordens durch politische Katastrophen des Südens zu ver-
meiden, wird eine Grenzlinie, ein Stabilitätsgürtel, errichtet, die Rufin mit dem antiken Namen
„Limes" kennzeichnet, um sie von bisherigen Frontlinien zu unterscheiden: „Der Zweck des Limes
ist nicht die Kriegführung, obwohl er mancherorts zum Schauplatz von Offensiven wird. Der Limes
errichtet vielmehr um das Reich herum eine Zone der Stabilität und, sofern möglich, des Friedens:
Er ist eine Grenze des Ausgleichs." (158) Den heutigen Limes bewachen Küstenwächter in Florida
ebenso wie Marseiller Zöllner: Er verläuft an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, er durch-
schneidet das Mittelmeer zwischen Afrika und Europa, durchquert - hier in seiner Linienführung
noch unsicher - Asien an der Südgrenze der ehemaligen Sowjetunion. Pufferstaaten wie Mexiko
oder die Türkei werden als Zonen der Stabilität gefördert, unabhängig davon, ob ihre innere Ent-
wicklung den demokratischen Standards des Nordens entspricht oder nicht. Gänzlich irreführend
im Hinblick auf die von Rufin prognostizierte Limesziehung um Europa ist übrigens die Graphik auf
dem Schutzumschlag der deutschen Ausgabe des Buches: Durch weite Teile Südeuropas und an der
östlichen Grenze Deutschlands entlang verläuft eine dicke rote Linie. Der „Limes" ? Ein Versehen?
Oder zieht sich das „nördliche" Europa doch noch enger zusammen, als Rufin vor drei Jahren, als
die französische Ausgabe erschien, glauben konnte? Soll nicht schon bald ein lückenloser elektroni-
scher Limes die deutschen Grenzen im Osten vor illegalen Einwanderern sichern ? Noch scheint die
politische Geographie im Fluß, die Ideologie der Trennung hingegen bereits verfestigt.
Unter diesen Vorzeichen beschreibt Rufin drei Perspektiven künftigen Handelns, exemplarisch vor-
gestellt an drei historischen Gestalten: Mark Aurel repräsentiert das Prinzip „Sicherheit", das die
Trennung verstärkt, um wenigstens im Inneren des Reiches Sanftmut und Gerechtigkeit zu erhal-
ten. Jean-Baptiste Kleber, General der Revolutionsarmeen und Nachfolger Napoleons in Ägypten,
steht für einen Kampf für „Gerechtigkeit", für Solidarität und eine universelle Geltung demokrati-
scher Ideale, den kein Sicherheitsbedürfnis unterbinden kann. Roman von Ungern schließlich, der
mit einer Schar mongolischer Krieger den Kampf mit dem bolschewistischen Rußland aufnahm,
praktiziert den „Aufstand", die Destabilisierung des Nordens, durch seine radikale Alternative Die
Sympathien Rufins gehören zweifellos Kleber. Handlungsperspektiven, die über die scheinbar un-
überwindlichen Grenzen der Limes-Ideologie hinausführen können, erscheinen - bei Gefahr des
Scheiterns des Individuums - immerhin noch möglich: „Weiterhin in den Süden gehen, seine Erfor-
schung unentwegt fortsetzen, Zeugnis ablegen, Partei ergreifen, Anstoß erregen." (262)
Wer sich mit antiken Historikern beschäftigt, muß sich - gerade in der Schule - mit der Funktion
politischer Ideologien auseinandersetzen. Das Buch gibt Anstöße dafür, in welche Richtung hier
über den Horizont der Antike hinaus weitergedacht und weiterdiskutiert werden könnte. Es ist ein
hochinteressantes Beispiel dafür, daß Antikerezeption noch immer ein möglicher Weg ist, sich über
113