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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Nr. 3
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Aktuelle Themen
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Pfister, Raimund: Frösche fressen Störche - Thema und Rhema
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0106

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Frösche fressen Störche - Thema und Rhema

Die etwas unseriöse Überschrift erinnert an das „Postbote beißt Hund" der Journalistenschule,
wenngleich es hier um etwas anderes geht. Sie soll dieser Glosse - viel mehr soll es hier nicht sein -
auch die als neugierige Leser gewinnen, die durch den abstrakten Untertitel allein eher abge-
schreckt als motiviert würden, zumal wenn sie der Meinung sind, hier werde nach IC-Analyse,
Strukturalismus, Transformationsgrammatik und Dependenzgrammatik wieder einmal eine neue
Sau durchs Dorf getrieben, um - früher oder später - auf Nimmerwiedersehen zu entschwinden.
Jedoch ist diese dichotomische Opposition, die „fuzzy" und nicht randscharf ist, keineswegs neu,
und das unoKsfpevov und KaTTiyopobpevov der alten Griechen oder das supposr'fum und appo-
sr'fum des Mittelalters entspricht eher unserem Thema und Rhema als unserem Subjekt und Prädi-
kat.
Der Satz „Frösche fressen Störche" war im Lateinunterricht der 20er Jahre, vor der Durchforstung
des Wortschatzes und vor der Verpönung von Einzelsatz und deutsch-lateinischer Übersetzung, ein
beliebtes Beispiel, um grammatische Denkschulung zu betreiben. Der Schüler sollte gezwungen
werden, den Satz durch Abfragen zu „konstruieren" oder, moderner gesagt, das Gemeinte festzu-
stellen In dem Zwang, das in der Muttersprache Gemeinte präzise zu erfassen, lag sicher ein for-
malbildender Wert. Mit dem Gemeinten als Ausgangspunkt war für den fleißigen Schüler die Erstel-
lung des lateinischen Textes kein „Ratespiel" - die Erfolgsmöglichkeiten für die cleveren Rater ka-
men erst in den höheren Klassen. Doch das sind TempJ passaf/, es geht hier um moderne Linguistik
und ihre Vorgeschichte.
Den Satz „Frösche fressen Störche" hielt ich als junger Schüler für grammatisch nicht akzeptabel,
aber doch für ein legitimes Mittel, um damit dumme Schüler hereinzulegen. Für meine Aufgabe
hielt ich es, im Lateinischen cfcon/'ae voauszustellen entsprechend der uns beigebrachten Konstruk-
tionsordnung. Als junger Lehrer diskutierte ich den ominösen Satz mit einem Kollegen, dem er
ebenfalls bekannt war. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß er nur in einem bestimmten Kontext ak-
zeptabel sei, etwa so: „Mich stören die Frösche in meinem Garten " - „Kauf dir einen Hund!" -
„Frösche fressen Störche (nicht Hunde)." Das war also Thema und Rhema im Sinne von „bekannt"
und „neu". Aber wir hatten keine Terminologie dafür. Das psychologische Subjekt bei Hermann
Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte (1880), gehörte nicht zum Examensstoff unserer vier Fächer;
noch viel weniger kannten wir den Terminus aus v. d. Gabelentz, Die Sprachwissenschaft (1881).
Dort wird der Unterschied zwischen „Mit Speck fängt man Mäuse" und „Mäuse fängt man mit
Speck" bestens erklärt.
Thema und Rhema für psychologisches Subjekt und Prädikat wurden von Hermann Ammann, Die
menschliche Rede II (1928) ziemlich beiläufig im Kleindruck vorgeschlagen und bei uns zunächst
nicht rezipiert. Sie tauchen aber bald in der Prager linguistischen Schule im Rahmen der funktiona-
len Satzperspektive auf und werden nach dem Krieg, meist in tschechischer Sprache, ausgiebig
diskutiert. Etwa um das Jahr 1970 kommt das Paar wieder in den Westen und trifft dort auf das
amerikanische Paar fop/'c und commenf. Hoffnungen auf einen epochalen Gewinn für den La-
teinunterricht aus dem schon von tschechischen Forschern begonnenen Versuch, die funktionale
Satzanalyse auf eine entsprechende Analyse von Textabschnitten oder eines Textganzen auszudeh-
nen, werden schwerlich in Erfüllung gehen. Das meint ein alter Pensionist aus seiner Erfahrung.
1965 wurde in Münster auf dem Altphilologentag die strukturale Sprachwissenschaft den Lehrern
warm empfohlen. Im ersten Drittel der 70er Jahre beherrscht die generative Transformations-
grammatik die für den Gymnasiallehrer einschlägigen Zeitschriften. 1976 tritt die Dependenz-
grammatik an deren Stelle, die die lateinischen Lehrbücher am stärksten beeinflußt hat, weil sie mit

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