schafft er es nicht; siehe S. 111. Im Vorwort äußert er die Befürchtung, wenn er zu viel Historisches
schreibe, enttäusche er diejenigen, die von ihm einen heiteren Roman erwarteten, von denen er
zuvor schon vier geschrieben hat, und mache er das Gegenteil, rümpften jene die Nase, die sich
Fundierteres versprochen hätten. So vergraule er womöglich beide Lesersegmente Aber vielleicht
hat er im Gegenteil für beide etwas geschrieben. Häufig hatte ich den sicheren Eindruck, Lorenz
Stäger ist noch voll von weiteren Geschichten, die er nur noch nicht niedergeschrieben hat. Ich
verspreche hiermit, bei ihm vierzehn Tage abzutrocknen, wenn er das nachholt. (Natürlich ist das
eine Anspielung für Insider. Wer sie verstehen will, kaufe das Buch und lese auf S 42 nach.)
Mezger, Werner/ D/'e Bräuche der Ab/'fur/'enfen. l/om Kartengruß zum .Supergag. F/'n Betrag zur
Schü/ervo/kskunde.Konsfanz; Dn/vers/'fäfsver/ag Konstanz 799J?. 749 5., 38,00 DM f/SB/V 3-87940-
438-0/
Wer vor kurzem, nach dem Abitur 1994, gerade wieder einmal vor dem Portal seiner Schule stand
und sie nicht betreten konnte, weil es mit riesigen Stapeln von Telefonbüchern versperrt war, sollte
zu diesem Buch greifen (von dem 1994 bereits eine zweite Auflage erschienen ist) und erfahren:
das war noch gar nichts. Die Abiturienten des Jahrgangs 1989 am Fürstenberg-Gymnasium in
Donaueschingen besorgten seinerzeit von einem nahegelegenen Schrottplatz fünf Kleinwagen,
„die sie mit Hilfe von Rundhölzern ins Schulgebäude hebelten. Dort blockierten sie dann sämtliche
Treppenhäuser, indem sie die ,Rostlauben' Stufe für Stufe hinaufschoben und sie auf halber Höhe
mit Drahtseilen gegen Abrollen sicherten. Da sie bei ihrer nächtlichen Schwerstarbeit außerdem
auch noch die Fußböden mit hunderten von alten Autoreifen zugedeckt hatten, blieb dem Schullei-
ter am folgenden Morgen nichts anderes übrig, als sämtliche Klassen wieder nach Hause zu schik-
ken und den Unterricht einen Tag lang ausfallen zu lassen." (S 94) Allerdings legt Mezger keines-
wegs nur ein Kuriositätenkabinett vor. Ein historischer Überblick leitet das Buch ein: ab etwa 1895
begannen Absolventen des Gymnasiums ihr erfolgreich bestandenes Abitur auf eigens entworfenen
Postkarten ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis anzuzeigen, ein Brauch, der Anfang der 50er
Jahre allerdings nahezu gänzlich einschlief. Abischerze habe es in dieser Zeit nur sporadisch gege-
ben; häufig seien sie von den Schulleitungen strengstens geahndet worden. Erst ab etwa 1967 sei
ein allmähliches Anwachsen von Abiaktionen zu beobachten, die im Laufe der Jahre immer um-
fangreicher und immer obligatorischer geworden seien. Mezger gibt zahlreiche, häufig auch durch
Fotos dokumentierte Beispiele, die er aus dem Zeitungsarchiv des Tübinger Ludwig-Uhland-Instituts
für empirische Kulturwissenschaft, durch Befragung von baden-württembergischen Gymnasien und
von Abiturienten seit dem Jahrgang 1955 gewonnen hat.
Schade nur, daß Mezger glaubte, sein amüsantes und bereicherndes Buch zu einem wissenschaftli-
chen Werk der Volkskunde aufplustern zu müssen. Erfrischend ist zweifellos, was Mezger über er-
starrte Brauchtumspflege schreibt, die er vom lebendigen Brauchtum der Abischerze abhebt. Erhel-
lend ist auch, was Mezger über eine gewisse Typologie unter ihnen feststellen konnte. Gering ist
aber gerade der Ertrag für das, was er als den „mit Abstand wichtigsten Problemzugang" bezeich-
net, nämlich „die Frage nach der Zeichenhaftigkeit der Brauchinhalte und nach deren Deutung als
Psychogramm der jugendlichen Akteure" (S. 133). Abistreiche stellen offenbar keine eigene Er-
kenntnisquelle dar. Kaum einmal deutet Mezger sie aus sich heraus; überzeugend erscheint mir
lediglich, daß die Abischerze in der Zeit von etwa 1970 bis heute einen Wandel spiegeln von Schü-
lern, die voll Verachtung die Penne endlich hinter sich lassen wollen, zu solchen, die mit Wehmut
den Augenblick des Abschieds gekommen sehen. Sonst interpretiert Mezger sie durchgehend im
Lichte bereits vorher feststehender Urteile über die jeweilige Zeitsituation. Die Erkenntnis, daß
Schule noch immer nicht nur „lustbetont genossen" wird (S. 84), ließe sich gewiß auch ohne wis-
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schreibe, enttäusche er diejenigen, die von ihm einen heiteren Roman erwarteten, von denen er
zuvor schon vier geschrieben hat, und mache er das Gegenteil, rümpften jene die Nase, die sich
Fundierteres versprochen hätten. So vergraule er womöglich beide Lesersegmente Aber vielleicht
hat er im Gegenteil für beide etwas geschrieben. Häufig hatte ich den sicheren Eindruck, Lorenz
Stäger ist noch voll von weiteren Geschichten, die er nur noch nicht niedergeschrieben hat. Ich
verspreche hiermit, bei ihm vierzehn Tage abzutrocknen, wenn er das nachholt. (Natürlich ist das
eine Anspielung für Insider. Wer sie verstehen will, kaufe das Buch und lese auf S 42 nach.)
Mezger, Werner/ D/'e Bräuche der Ab/'fur/'enfen. l/om Kartengruß zum .Supergag. F/'n Betrag zur
Schü/ervo/kskunde.Konsfanz; Dn/vers/'fäfsver/ag Konstanz 799J?. 749 5., 38,00 DM f/SB/V 3-87940-
438-0/
Wer vor kurzem, nach dem Abitur 1994, gerade wieder einmal vor dem Portal seiner Schule stand
und sie nicht betreten konnte, weil es mit riesigen Stapeln von Telefonbüchern versperrt war, sollte
zu diesem Buch greifen (von dem 1994 bereits eine zweite Auflage erschienen ist) und erfahren:
das war noch gar nichts. Die Abiturienten des Jahrgangs 1989 am Fürstenberg-Gymnasium in
Donaueschingen besorgten seinerzeit von einem nahegelegenen Schrottplatz fünf Kleinwagen,
„die sie mit Hilfe von Rundhölzern ins Schulgebäude hebelten. Dort blockierten sie dann sämtliche
Treppenhäuser, indem sie die ,Rostlauben' Stufe für Stufe hinaufschoben und sie auf halber Höhe
mit Drahtseilen gegen Abrollen sicherten. Da sie bei ihrer nächtlichen Schwerstarbeit außerdem
auch noch die Fußböden mit hunderten von alten Autoreifen zugedeckt hatten, blieb dem Schullei-
ter am folgenden Morgen nichts anderes übrig, als sämtliche Klassen wieder nach Hause zu schik-
ken und den Unterricht einen Tag lang ausfallen zu lassen." (S 94) Allerdings legt Mezger keines-
wegs nur ein Kuriositätenkabinett vor. Ein historischer Überblick leitet das Buch ein: ab etwa 1895
begannen Absolventen des Gymnasiums ihr erfolgreich bestandenes Abitur auf eigens entworfenen
Postkarten ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis anzuzeigen, ein Brauch, der Anfang der 50er
Jahre allerdings nahezu gänzlich einschlief. Abischerze habe es in dieser Zeit nur sporadisch gege-
ben; häufig seien sie von den Schulleitungen strengstens geahndet worden. Erst ab etwa 1967 sei
ein allmähliches Anwachsen von Abiaktionen zu beobachten, die im Laufe der Jahre immer um-
fangreicher und immer obligatorischer geworden seien. Mezger gibt zahlreiche, häufig auch durch
Fotos dokumentierte Beispiele, die er aus dem Zeitungsarchiv des Tübinger Ludwig-Uhland-Instituts
für empirische Kulturwissenschaft, durch Befragung von baden-württembergischen Gymnasien und
von Abiturienten seit dem Jahrgang 1955 gewonnen hat.
Schade nur, daß Mezger glaubte, sein amüsantes und bereicherndes Buch zu einem wissenschaftli-
chen Werk der Volkskunde aufplustern zu müssen. Erfrischend ist zweifellos, was Mezger über er-
starrte Brauchtumspflege schreibt, die er vom lebendigen Brauchtum der Abischerze abhebt. Erhel-
lend ist auch, was Mezger über eine gewisse Typologie unter ihnen feststellen konnte. Gering ist
aber gerade der Ertrag für das, was er als den „mit Abstand wichtigsten Problemzugang" bezeich-
net, nämlich „die Frage nach der Zeichenhaftigkeit der Brauchinhalte und nach deren Deutung als
Psychogramm der jugendlichen Akteure" (S. 133). Abistreiche stellen offenbar keine eigene Er-
kenntnisquelle dar. Kaum einmal deutet Mezger sie aus sich heraus; überzeugend erscheint mir
lediglich, daß die Abischerze in der Zeit von etwa 1970 bis heute einen Wandel spiegeln von Schü-
lern, die voll Verachtung die Penne endlich hinter sich lassen wollen, zu solchen, die mit Wehmut
den Augenblick des Abschieds gekommen sehen. Sonst interpretiert Mezger sie durchgehend im
Lichte bereits vorher feststehender Urteile über die jeweilige Zeitsituation. Die Erkenntnis, daß
Schule noch immer nicht nur „lustbetont genossen" wird (S. 84), ließe sich gewiß auch ohne wis-
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