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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Nr. 3
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[Rezension von: Eberhard Zangger, Ein neuer Kampf um Troia. Archäologie in der Krise]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0122

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anderen verheert und schließlich Troia selbst zerstört. Der Krieg habe aber nur Verlierer hervorge-
bracht, denn während der langen Abwesenheit der mykenischen Könige hätten sich vielfach Usur-
patoren an deren Höfen etabliert. Auch Achaia sei in inneren Wirren versunken.
Dieser (stark verkürzte) Überblick dürfte deutlich gemacht haben, wieviele gordische Knoten Zang-
ger durchschlägt. Er breitet hierfür eine Fülle von neuen und neuesten Ergebnissen archäologischer
Forschung aus, sein Literaturverzeichnis umfaßt deutlich über 350 Titel. Mag mir auch manches
Dokument sehr forsch interpretiert erscheinen, muß ich das Urteil hierüber doch den Archäologen
überlassen.
Mit Sicherheit nicht akzeptabel ist Zanggers Umgang mit griechischem Mythos und antiker Überlie-
ferung. Aus der Sage vom Argonautenzug lassen sich Rückschlüsse auf lokale Ereignisse kaum zie-
hen, wird doch in ältester Zeit als ihr Ziel nicht das historische Kolchis, sondern das mythische Aia
genannt, wo „die Strahlen der Sonne in goldener Kammer liegen, bei den Aithiopen, am Okeanos"
Nach Strabo und Apollodor sind die zyklopischen Mauern von Mykene und Tiryns mit Hilfe von
Ingenieuren aus Kleinasien errichtet worden. Zangger sieht diese Nachricht gestützt dadurch, daß
nach anderen Berichten die „Zyklopen, deren Stammland ebenfalls Kieinasien gewesen sein soll",
beim Bau der Mauern geholfen hätten, und schließt, daß „die letzte Palastbauphase in Griechen-
land ... Bestandteil eines internationalen Know-how-Transfers" gewesen sei, „bei dem eine Gruppe
von hethitischen und griechischen Konstrukteuren, Architekten und Beratern an verschiedenen
Orten tätig wurde" (S. 206). Daß Strabos Nachricht bloß eine Rationalisierung des Mythos vom
Zyklopenbau gewesen sein könnte und so keinerlei eigenen Wert besäße, kommt ihm offenbar
nicht in den Sinn. Abstrus wird es schließlich, wenn Zangger Troiaberichte von Quintus von Smyrna,
ja von Dares und Diktys und sogar von Joseph von Exeter als „nichthomerische Überlieferung" vom
Trojanischen Krieg heranzieht, ohne einen Gedanken darauf zu verwenden, wie diese Überlieferung
nicht nur die schriftlosen Jahrhunderte, sondern auch die gesamte Antike gleichsam unterirdisch
überdauert haben könnte, ohne irgendwo Erwähnung zu finden, um dann in Spätantike und Mit-
telalter plötzlich wiederaufzutauchen. Mich wundert angesichts all dessen, daß Zangger die byzan-
tinische „Achilleis" übersehen hat. In einer von deren Fassungen will der König von Troia - das ist
hier Paris, nicht Priamos - Achilleus zu seinem Schwager machen, um so die Not der Belagerung zu
lindern. Welche Bereicherung des Bildes von westanatolischer Koalitionsbildung!
Angesichts solcher Merkwürdigkeiten verschlägt es kaum noch etwas, wenn Zangger Teukros, den
ältesten König der Troas, und den gleichnamigen Sohn von Telamon und Hesione zusammenwirft
(S. 196) und statt „Teukrer" stets „Teuker" schreibt, wenn er es als Beleg für den raschen Nieder-
gang Troias nach seiner zweiten Zerstörung ansieht, daß der „Königssohn Paris .. laut Überliefe-
rung die Herden im Ida-Gebirge weidete", was „den raschen Wechsel von der Feudalgesellschaft
zur einfachsten Form bäuerlichen Lebens" unterstreiche (S.235) - nur tat Paris dies lange vor dem
Troianischen Krieg (den er gar nicht überlebte), als er die Göttinnen zum berühmten Parisurteil
empfing -, wenn er schließlich die iulische Familie sich nicht von Aeneas' Sohn lulus, sondern von
llos, dem mythischen Urvater von Troia, herleiten läßt (S. 82).
Es mag sein, daß all diese groben Schnitzer nicht den Kern von Zanggers Hypothese tangieren. Es
weckt aber Zweifel an seiner wissenschaftlichen Sorgfalt. Gegen den Rundumschlag Deckung zu
suchen, den er auf den letzten zwanzig Seiten gegen die Archäologie und im Grunde gegen die
gesamte Altertumswissenschaft führt - ihr fehle „noch immer das Rüstzeug einer reifen Wissen-
schaft" (S. 279), und sie bedürfe einer Revolution, die ihr natürlich Zangger beschere - , ist also
nicht schwer.

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