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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Nr. 4
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Aktuelle Themen
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Maier, Friedrich: Latein liegt im Trend der Zeit: ein Plädoyer für den Lateinunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0131

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teinischen aufruht, dann wird man zugeben, daß dem Fach eine starke Brückenfunktion zukommt.
Latein ist die Basissprache Europas.
Latein ais Fundamentatsprache der Wissenschaft. Der Umstand, daß Latein über ein halbes Jahr-
tausend lang die Sprache der Wissenschaft gewesen war, blieb nicht ohne Folgen: die Ausbildung
der Terminologie, die Entwicklung der Grundbegriffe sind in fast allen Wissenschaften vom Lateini-
schen bestimmt Damit liegt in der lateinischen Sprache der Schlüssel sowohl zur Sprache wie auch
zur Geschichte der meisten heutigen Wissenschaften vor. Auch heute greifen die Wissenschaften
bei ihrem Bemühen, neue wissenschaftliche Begriffe zu prägen, häufig auf die lateinische Sprache
zurück.
Der Kern der international verstandenen wissenschaftlichen Aussage ist somit, wie es der Pädagoge
Klaus Westphalen nachgewiesen hat, lateinisch konzipiert; an jedem beliebigen Wissenschaftstext
ließe sich das ohne weiteres zeigen. Nicht wenige Disziplinen wie gerade die Historiographie,
Theologie, Linguistik oder Philosophie, deren Forschung es vorwiegend oder zu einem guten Teil
auch mit der Geschichte vergangener Epochen zu tun und sich deshalb mit den Quellen zu befas-
sen hat, benötigen die Kenntnis derjenigen Sprachen, in denen die Originalwerke geschrieben sind;
andernfalls wäre wissenschaftliche Arbeit ja kaum seriös. Insofern darf Latein durchaus als Funda-
mentalsprache der Wissenschaft gelten.
Latein ais Schiüssetfach europäischer Kultur. Die europäische Kultur ruht, das ist allgemeiner
Konsens, auf den Säulen des Griechentums, des Römertums und des Christentums. Die Römer etwa
haben im Rechtswesen, im politischen Denken, in der Literatur, in Werken der Architektur und Ma-
lerei vieles geschaffen, das fortgewirkt und zu produktiver Auseinandersetzung damit herausgefor-
dert hat. Gestalten und Ereignisse der römischen Geschichte sind Archetypen des Abendlandes
geworden, und die wichtigsten Denkmodelte, Sprachsymbole, Literaturmotive sind in der römi-
schen Antike entstanden. Zudem haben durch die Vermittlung der Römer und durch in lateinischer
Sprache geschriebene Werke die großen Ideen der Griechen und der Christen für Europa Bedeu-
tung bekommen. Latein stiftete und trug eine lange Tradition.
Wenn die heute angestrebte Vereinigung Europas nicht nur eine politische und wirtschaftliche
Gemeinschaft, sondern, wie von vielen gefordert, vor allem auch eine Werte- und Kulturgemein-
schaft sein soll, dann wird man ohne die Kenntnis seiner Wurzeln nicht auskommen. Latein bietet
Grundtexte Europas. Ein gegenüber früher ziemlich geänderter und erweiterter Lektürekanon -
man hat vor allem lateinische Texte des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit hinzugenommen
- zielt darauf ab, den Zugang zur kulturellen Vergangenheit unseres Kontinents zu erschließen. Daß
dadurch auch Voraussetzungen zu einer tiefer greifenden Auseinandersetzung mit Gegenwart und
Zukunft geschaffen werden, liegt auf der Hand Zukunft braucht Herkunft. Der Konstanzer Latinist
Manfred Fuhrmann hat Latein zu Recht „ais Schlüsselfach der europäischen Kultur" bezeichnet.
Latein als Kernfach humanistischer Bildung. Gymnasialbildung wird heute überall als humani-
stisch in einem weiten Sinne des Wortes definiert. Das bedeutet, daß die Fächer in ihren Zielen die
Bedingungen und Bedürfnisse des Menschen ins Zentrum zu rücken haben. Welche Qualifikationen
braucht der Mensch, um Leben und Beruf in Gegenwart und Zukunft zu meistern? Daß diese Auf-
gabe immer schwieriger wird, ist aus der zeitanalytischen und zukunftsprognostischen Literatur
deutlich zu entnehmen. Es türmen sich große Probleme vor den Menschen auf, die sie zunehmend
in existentielle Bedrängnis bringen: Erhaltung des Friedens, das Auskommen mit dem Fremden, die
Rettung der Natur, die technologische Herausforderung, das Wiedergewinnen einer Wertordnung
u. a. m. Die Zukunft ist unter solchen Vorzeichen nur mit der Verantwortung aller zu bewältigen.
Latein leistet dafür einen genuinen Beitrag. Die antiken Texte und Themen sind - ein Erbe des So-
krates, der die Philosophie vom Himmel herabgeholt und in den Häusern der Menschen angesiedelt

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