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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0042

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Leber die Verzierungen aus dem Pflanzenreiche an den Gebäuden des
Mittelalters, im Allgemeinen sowohl, als an der St, Katharinen-
Kirche zu Oppenheim.

Wie überhaupt an den schönen Baudenkmalen des Mittelalters, so machen auch an
unserer Kirche die Laubverzierungen eine vorzügliche Zierde aus. Sie sind den uner-
schöpflich mannigfaltigen Formen der vaterländischen Vegetation nachgebildet und ge-
währen dadurch dem Beschauer nicht allein denjenigen, sich immer erneuenden Genuss,
welchen die getreue Nachahmung der Natur durch die Vergleichung mit dem Urbilde her-
beiführt, sondern veranlassen ihn auch zum Sinnen über die, durch ihre Wahl und An-
ordnung angedeutete Idee. *j So ist die Verzierung der Pfeiler im Kreuze der Kirche
zu Oppenheim unter andern aus den vorzüglichen Producten der Gegend, aus Zweigen
verschiedener Weinreben-Arten, zum Theil mit jungen Trauben und aus Eichenzweigen
mit ihren Früchten, genommen. (Die zwei obersten Knäufe auf dem neunten Blatte
sind getreu danach gezeichnet.) Wie leicht lässt sich an diese Verzierungen der Ge-
danke anknüpfen, dass man vielleicht einstens an einem Kirchenfeste, oder bei Gelegen-
heit der Einweihung einer Kirche die besten Gaben • der heimathlichen Flur und des
Haines zur Ausschmückung des Innern der Kirche angewendet und damit die Säulen-
häupter begränzt habe. Zum wenigsten begünstigt diese Verzierungsweise eine solche
poetische Auslegung.

Ausser den Knäufen sind übrigens im Innern der Kirchen des rein teutschen Bau-
styles nur noch die Schlussteine der Gewölbe und die zur Aufstellung von Heiligenbildern
bestimmten Tragsteine mit Laubwerk verziert} letztere sind damit gewissermassen um-
wachsen.

Einen anderen Ursprung aber scheinen die Laubverzierungen an der Aussenseite
des Gebäudes zu haben. In den Hohlkehlen der Fenster und der Giebel scheinen die
Zweige, geschützt vor Sturm und Ilegengüssen, rankenartig heraufzuwachsen, oder auch
einzelne Pflanzen, sowie auf der Abdachung der Giebel, aus den Fugen der Steine

) Ein weiter Kreis räthselhafter Wesen öffnet sieh mit dem Reiche der Pflanzen. Gestalten, deren Substanz
nach den Bedürfnissen einer hewcgungsloscn Vegetation auf das feinste gehildet ist und von tausendfachem
Wechsel der Form und Farhc. Die senkrechte Linie des Stängels und Stammes, die Radien der Zweige,
die Ellipsen der Blatter, die umgekehrten Kegel und Pyramiden der Blüthen, die runden und ovalen
Gestalten der Früchte — diese Grundformen, in welchen unendlichen Variationen erscheinen sie! — Hier
ist Lehen und doch leblose Ruhe, eine Existenz der unsrigen fremd, über welche eben deshalb unser
Urtheil schwankt, weil wir uns des Punktes nicht bewusst sind von dem wir ausgehen sollen n. s. w.
(Ueber die Studien der griechischen Künstler von Dr. Ludwig Schorn. Seite 40.)
 
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