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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0046

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unzureichend, da sogar der wirkliche Marmor nicht weiter, als zu einer getreuen Copie
führen würde.

Hieraus Iässt sich nun die allmäblige Ausartung- des Geschmackes in den Verzie-
rungen leicht erklären und es wird dadurch begreiflich, wie wenig die leblosen Nach-
ahmungen der griechischen Kunst das Gemüth in Anspruch zu nehmen geeignet sind.
Zudem entstand durch die Seltenheit der antiken Vorbilder, die man nur wiederholen,
aber nicht vermannigfaltigen konnte, eine ermüdende Einförmigkeit, und während an
unseren modernen Gebäuden das corinthische Capitäl mit seinen acht Schnecken und
sechzehn leblos starren Blättern von völlig gleicher Form, sich ohne alle Veränderung
nur nach der erforderlichen Zahl wiederholt und die mit Evern, Perlen und Wasserlaub
verzierten Stäbe als feststehende Form betrachtet werden, prangen die ehrwürdigen
Ueberreste der Baukunst unserer Urväter mit einer Fülle zarter Gebilde der vaterlän-
dischen Vegetation, und entsprechen auf das Genaueste dem Begriffe vom Schönen *) :
Einheit des Mannigfaltigen.

Ueber die constructiven Verzierungen

womit die grösseren Massen der Mauern, vorzüglich an der Aussenseite der Gebäude
des teutschen Baustyles verziert sind und wodurch diese bei aller Stärke dennoch Leich-
tigkeit und Abwechselung erhalten, mögen hier beim Schlüsse der Ideen über die Laub-
verzierungen noch einige Worte folgen. Die constructiven Verzierungen bestehen aus
Stäben, die aus verschiedenen Gliedern zusammengesetzt, über die Mauerfläche hervor-
ragend, senkrecht aufsteigen und sich meistens oben in kleinen Spitzbogen und anderen
aus Zirkelstücken bestehenden Verschlingungen enden. Die obern, aus dem Zirkel con-
struirten Verzierungen kommen jedoch auch oft ohne die senkrechten Stäbe vor. Die
nämlichen Regeln aber, welche bei der Construction der Fenster stattfinden und bereits,
in dem denselben früher schon gewidmeten Abschnitte, angeführt wurden, sind auch hier
wieder in Anwendung zu bringen; nur sind die Verhältnisse verschieden. Auch die
Geländer der Callerieen werden auf ähnliche Weise construirt. An dem auf dem Titel-
blatte dargestellten Eingange ist eine solche constructive Verzierung gerade über der
Thüre unter dem Spitzbogen befindlich; mehrere aber werden auf dem 14. Blatte, bei
der südlichen Aussenseite des Langhauses gegeben.

Diese, ausschliesslich von den Künstlern des Mittelalters erfundene Verzierungs-
art passt vollkommen zu Gebäuden, die aus geschlossenen Mauern bestehen, und es

•) In jeder schönen Form muss eich Mehrheit und Mehrartigkeit der Theile in voller Einheit und Zusam-
menstinimung zu einem -wohlgefälligen Eindrucke finden. ( Esehenourgs Theorie und Literatur der
schönen Redekünste.)
 
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