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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0045

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der Hellenen meistens auf sclavische Nachahmung beschränkte, anstatt dass man darin
belehrende Winke hätte erkennen sollen, wie die Natur aufgefasst und dargestellt wer-
den miisste. *) Diese Winke verstanden die Künstler des Mittelalters, denen die grie-
chische Baukunst keineswegs fremd war, vollkommen' und sie entwickelten auf diese
Weise ein Kunsttalent eigenthümlicher Art, dessen Erzeugnisse den Vergleich mit den
besten anderer Völker aushalten. Es ist in dieser Hinsicht belehrend, einen Blick auf
die Geschichte der Entstehung und allmähligen Ausbildung der teutschen Baukunst zu
werfen. Zur Zeit Karls des Grossen ahmte man im Allgemeinen nur die Formen der
griechischen, oder vielmehr der römischen Baukunst nach, und gebrauchte corinthische
oder römische Capitäle. Ganz anders erschien die Fonn der Säulenhäupter unter Fried-
rich I. durch den Einfluss des Morgenlandes, verbunden zugleich mit dem teutschen Streben
nach Eigentümlichkeit, welches sicli auch kurze Zeit nachher schon eine eigene Bahn
brach, indem sich bereits Spuren von Nachbildungen vaterländischer Pflanzen zeigen die
dann endlich im 13. Jahrhundert, bei der nun errungenen Meisterschaft in der Technik
eine freie, wahrhaft lebendige Ausbildung erhielten. **}

In der That fühlt sich auch der wahre Künstler jederzeit zum Urquell alles Schönen,
zur Natur, unwiderstehlich hingezogen und wird in seinem Wirken beengt durch die
stete Hinweisung auf die früheren Kunsterzeugnisse fremder Völker. Von den Gewächsen,
welche den Griechen und Hörnern zu Mustern ihrer Verzierungen dienten, ist zudem
keines bei uns einheimisch, wesswegen sich dann der plastische Künstler gewöhnlich
bloss mit den Zeichnungen derjenigen behelfen muss, denen es möglich war die Kunst-
schätze Italiens und Griechenlands in der Wirklichkeit zu sehen. Nicht immer aber sind
diese Zeichnungen lebendig genug aufgefasst, und selbst die beste für den genialen

*) So entsteht Manier auch sehr leicht da, wo der Künstler es unternimmt, nicht blos die Wissenschaft,
sondern den Styl des fremden Meisters, einer entfernten Zeit oder eines andern Volkes aus dessen Werken
sich anzueignen, ohne dass er sich vollkommen in ihre Ideen versetzen kann und der Natur ganz mächtig
ist. Er hält sich dann meist nur an das Aeusserliche, zwar Unterscheidende, doch aber vielleicht nur
zufällig Eigentümliche seiner Vorbilder und liefert nur Nachahmungen derselben, in welchen das Gute,
das seine eigenen Anlagen hervorbringen könnten, zu Grunde geht. — (Dr. Schorn, über das Studium
der griechischen Künstler, Seite 109.)

Der ganze J8te Abschnitt über Originalität enthält so viel Wahres und zu Beherzigendes über
diesen Punkt, dass ich ihn dem Künstler dringend empfehle; ihm darf überhaupt dieses vortreffliche
Werkchen nicht fremd bleiben.

**) Bemerkenswerth in dieser Hinsicht sind die Knäufe der kleinen Säulen im Kreuzgange an der Stiffts-
Kirche zu Aschaffenburg. Es sind daran 6i von der verschiedensten Form, von der Ichlosesten Verzie-
rung an, bis zum freiesten Blätterschmucke. Der Künstler scheint darin wirklich die allmählige Ent-
wickelung dieses Theiles der Baukunst haben zeigen zu wollen. In Mollers Denkmälern der teutschen
Baukunst sind einige dieser Knäufe abgebildet.

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