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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0047

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bedarf wahrlich nur eines vorurtheilsfreien Blickes zu der Ueberzeugung, wie weit
zweckmässiger daran ihre Anwendung stattfindet, als die den Römern, oder vielmehr
den Italienern nachgeahmte Verzierung mit Wandsäulen und Pfeilern, welche mit ihren
Capitälen doch immer ihre Bestimmung zum Tragen andeuten, die sie hier nicht erfüllen
können. Man war indess durchaus genöthigt diese anzubringen, da man anfänglich, im
16. Jahrhundert, alles, was nur irgend an den sogenannten gothischen Styl erinnerte,
gänzlich verbannt und dann um das Mangelnde zu ersetzen die sonderbarsten, geschmack-
losesten Schnörkel, Thierfratzen und Edelsteinen gleiche Facetten, wie mehrere andere
Dinge substituirt hatte: welche Verzierungsweise aber späterhin ebenfalls wieder go-
thisch genannt wurde.

Als nun endlich aus dieser Barbarei ein besserer Geschmack hervorging, der aber
das Schöne einzig in den reinen Formen der griechischen Baukunst erkannte, so wenig
sich auch davon mit Grund in unsere vaterländische Architektur übertragen lässt, so
unterblieb natürlich die Berücksichtigung; dieses Theiles der Kunst unserer Vorfahren.
Einem genialen Künstler unserer Zeit wäre es mithin vorbehalten, die constructiven Ver-
zierungen wieder zu einer zweckmässigen Anwendung zu bringen, um so mehr, als sie
sich auch in leichterem Material, in Backsteinen und in Stuck ausführen lassen, und
davon selbst bei Hausgeräthen (^Möbeln} statt der jetzt üblichen, unpassenden Säulchen,
auf eine geschmackvolle Weise Gebrauch gemacht werden könnte.

Die perspectivische Ansicht des südlichen Einganges.

Als Titelblatt ist dieses Portal auf dem 1. Blatte geometrisch dargestellt, und dabei
im Texte alles, was darauf Beziehung hat, gesagt. Hier folgt nun die perspectivische
Zeichnung dieses nämlichen Gegenstandes, wroraus man erkennen möge, wie sich derselbe
ausgenommen, als er noch in einem unverletzten Zustande war. Auffallend verschieden
mit der geometrischen Zeichnung, zeigen sich nun auf dieser perspectivischen manche
Theile, so dass man dadurch recht klar ersehen kann, wie nützlich, ja wie notiiwendig
es sei, von einem Hisse, welcher den Forderungen von Schönheit und Verhültniss

*) Folgende Stelle aus dem in Leipzig 1734 erschienenen: Vollständigen mathematischen Lexicon u. s. w.
■welches mit grosser Einsicht und mit ausgeweiteten Kenntnissen geschriehen ist, mag den Begriff erläutern
den man damals mit dieser Benennung verband: „Gothischc Ordnung" heisst es darin „wird diejenige
genannt, welche von der Proportion und dem Zierrath der griechischen Ordnung abweichet, und viel
Ungereimtes in sich enthält, so von verständigen Baumeistern nimmermehr gchilligct werden kann."
 
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